RA Oskar Riedmeyer
Die europäische Gesetzgebung zum Verkehrsrecht gleicht in weiten Teilen dem Herbstwetter. Manchmal gibt es warme Tage, die als "goldener Oktober" beschrieben werden. Die 4. und 5. KH-Richtlinien, die die Unfallregulierung in Europa nachhaltig vereinfacht haben, zählen zu diesen goldenen Regelungen.
Die Trostlosigkeit, die den Leser der 3. Führerschein-Richtlinie befällt, erinnert an das triste Grau eines nasskalten Novembertages. Das Chaos, das hier angerichtet wurde, wird demnächst bei der Umsetzung der Richtlinie in seiner ganzen Breite erkennbar werden. Zu beneiden sind die Ministerialbeamten nicht, die das Umsetzungsgesetz zu entwerfen haben.
Richtig stürmisch aber wird es, wenn die EU-Kommission mit ihrem Vorhaben durchdringen sollte, europaweit verpflichtend die Halterhaftung im fließenden Verkehr einzuführen. Der von der EU-Kommission mit großer Eile in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Vorschlag für eine Richtlinie zur Erleichterung der grenzübergreifenden Durchsetzung von Verkehrssicherheitsvorschriften (KOM(2008) 151 endgültig) sieht vor, dass nach einer Geschwindigkeitskontrolle, einem Rotlichtverstoß, dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes oder einer Trunkenheitsfahrt im Bußgeldbereich dem Halter ein Deliktsbescheid zugestellt wird, der eine Geldbuße vorsieht. Diesen kann der Halter akzeptieren und bezahlen, dann ist die Sache erledigt. Er kann ihm widersprechen, muss aber den Fahrer benennen, gegen den dann ein Verfahren mit den üblichen Folgen (Bußgeld, Fahrverbot, Punkte im VZR) einzuleiten ist, welches auch zum Freispruch oder zur Einstellung führen kann.
Zwar soll die Richtlinie formell nur die Fälle betreffen, bei denen der Halter seinen Wohnsitz nicht in dem Staat hat, in dem der Verstoß erfolgt. Damit ist aber der Einstieg in die Halterhaftung vollzogen, so dass es schon aus Gleichbehandlungsgründen nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis die Halterhaftung für den gesamten Verkehr gelten würde. Genau darin liegt das Problem. Das deutsche System der Verfolgung von Verkehrsverstößen würde durch die Einführung der Halterhaftung infrage gestellt. Das verfassungsrechtlich garantierte Schweigerecht würde durch die Halterhaftung zur leeren Worthülse verkümmern.
Die Folgen wären aus beiden Blickwinkeln gravierend. Jeder Praktiker weiß, dass bei der Anordnung eines Fahrverbots die erste Frage des Betroffenen ist, ob man das Fahrverbot nicht in eine höhere Geldbuße umwandeln könnte. Dieses "Angebot" wird mit der Halterhaftung erfolgen. Der Halter kann sich oder einen anderen Fahrer durch Zahlung des Deliktsbescheides "freikaufen". Fahrverbote und Punkte werden nur noch solche Verkehrssünder treffen, die es wie einst Michael Kohlhaas "wissen wollen" und die Gerichte mit der Ermittlung von Fahrer und Messtechnik befassen. Andererseits wird es dem ansonsten untadeligen Bürger aber auch nur schwer zu vermitteln sein, dass die Mutter eines Kindsmörders das verfassungsrechtlich geschützte Recht besitzt, durch Schweigen die Aufklärung des Sachverhalts zu verhindern, die Mutter als Halterin eines Fahrzeuges aber verpflichtet sein soll, den Sohn, der die erste Geschwindigkeitsüberschreitung mit 21 km/h begangen hat, der staatlichen Verfolgung auszuliefern (was hier kostenträchtige Nachschulung bedeuten würde) oder in einer Art der modernen Sippenhaft das Bußgeld selbst zu zahlen.
Die EU-Kommission zeigt sich bisher von diesen Argumenten unbeeindruckt, was auch die Präsentation des Richtlinienvorschlages durch den stellvertretenden Generaldirektor Verkehr bei den jüngsten Europäischen Verkehrsrechtstagen in Luxemburg belegte. Die deutsche Bundesregierung (unterstützt von den Ländervertretungen in Brüssel) kämpft im europäischen Rat massiv gegen die Einführung der Halterhaftung. Dieses Bemühen verdient uneingeschränkten Beifall. Und, so wie es im Moment aussieht, hat die Bundesrepublik Deutschland mit Großbritannien einen ebenso einflussreichen Verbündeten gefunden, wobei dort weniger die Halterhaftung eine Rolle spielt, als das Verhindern der konkludenten Übernahme immer weiterer Kompetenzen durch die EU. Der Bereich der Ahndung von Verkehrsverstößen kann europarechtlich nicht durch eine für alle Staaten verbindliche Richtlinie geregelt werden, sondern die Mitgliedsstaaten können nur den Weg des Rahmenbeschlusses gehen.
RA Oskar Riedmeyer, München