GG Art. 1, 2; VVG § 22; BGB § 123
Leitsatz
1. Unter Verstoß gegen eine zeitlich begrenzte Schweigepflichtentbindung erhobene Gesundheitsdaten dürfen nicht schon deshalb verwertet werden, weil sie unstreitig sind. Ihre Verwertbarkeit ergibt sich jedoch auf Grund einer Güterabwägung jedenfalls dann, wenn der Versicherungsnehmer Vorerkrankungen arglistig verschwiegen hat.
2. Das Recht zur Freigabe von Gesundheitsdaten geht nicht auf Erben oder Angehörige über.
3. Der Wille zur Täuschung kann nur dann unter Berufung auf Scham erfolgreich in Zweifel gezogen werden, wenn mit ihm zugleich die Annahme einhergeht, der verschwiegene Umstand sei für die Vertragsabschlussbereitschaft des Versicherers nicht wirklich maßgeblich. Davon kann bei einem Suizidversuch mit anschließender stationärer Behandlung nicht ausgegangen werden.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 9.9.2009 – 5 U 510/08
Sachverhalt
Der verstorbene Versicherungsnehmer hatte einen vorvertraglichen Suizidversuch mit stationärer Behandlung verschwiegen. Von ihm hatte die Beklagte auf Grund einer zeitlich begrenzten, die Informationsbeschaffung nicht mehr umfassenden Schweigepflichtentbindung erfahren und den Versicherungsvertrag angefochten.
Aus den Gründen
Aus den Gründen:„ … 1. b. Jedoch ist eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt, weil der Versicherungsnehmer verschwiegen hat, sechs Monate vor Antragstellung einen Suizidversuch mittels einer Insulininjektion unternommen zu haben und deshalb im A-Krankenhaus H zunächst intensivmedizinisch und dann weiter stationär bis zum 14.4.2001 behandelt worden zu sein …
(1) Der auf eine arglistige Täuschung durch den Versicherungsnehmer gestützten Anfechtung gem. § 123 BGB und ihrer Berücksichtigung im Rechtsstreit steht nicht entgegen, dass die Beklagte den Entlassungsbericht durch den Hausarzt des Versicherungsnehmers ohne Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und damit auf möglicherweise rechtswidrigem, das allgemeine Persönlichkeitsrecht tangierendem Weg erlangt hat.
Die damit auftretende Frage der prozessualen Verwertbarkeit ist nicht schon deshalb ohne Belang, weil der Suizidversuch unstreitig wäre … Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass die prozessuale Wahrheitspflicht es grundsätzlich gebietet, sich zum Vortrag der Gegenseite wahrheitsgemäß zu erklären (§ 138 ZPO Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Für die vorliegende Fallgestaltung muss allerdings Besonderes gelten. Steht im Hinblick auf den Tatsachenvortrag einer Partei im Raum, dass die ihm zu Grunde liegenden Informationen in rechtswidriger Weise gewonnen wurden, und könnte eine Erhebung und Verwertung diesbezüglicher Beweise verboten sein, so ist der Gegner nicht gehalten, wahrheitsgemäß Stellung zu nehmen, sondern er darf den Vortrag vielmehr prozessual streitig stellen, sodass über die Zulässigkeit einer Beweiserhebung und -verwertung unter Anwendung der hierfür geltenden, nachstehend dargelegten Grundsätze zu entscheiden ist …
(b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Versicherungsnehmers ist durch die Verwertung ärztlicher Informationen über den Suizid deshalb betroffen, weil es die Befugnis umfasst, selbst zu bestimmen, welche persönlichen Daten preisgegeben und verwendet werden (vgl. BVerfG VersR 2006, 1669). Es endet nicht mit dem Tod, ist dann allerdings in seinem Gehalt beschränkt auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG (siehe BGH NJW 2007, 684), sodass auch die dem Persönlichkeitsrecht Rechnung tragenden beruflichen Schweigepflichten grundsätzlich fortbestehen (vgl. § 203 Abs. 4 StGB; BGH NJW 1983, 2627). Ab dann obliegt es den Angehörigen, die Offenbarung besonders sensibler persönlicher Umstände abzuwehren (zur deren Wahrnehmungsbefugnis Brändel, in: Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 37 Rn 24, 54).
(c) Eine Verwertbarkeit der Informationen zum Suizidversuch des Versicherungsnehmers lässt sich nicht darauf stützen, dass er mit rechtfertigender Wirkung in die Weitergabe seiner Patientendaten eingewilligt hätte, in der mit dem Versicherungsantrag an die Beklagte übersandten vorformulierten “Schlusserklärung’ wird diese ermächtigt, u.a. Ärzte über die Gesundheitsverhältnisse des Versicherungsinteressenten “bei Vertragsabschluss zu befragen’. Dies sollte – abgesehen von hier nicht in Rede stehenden Anfragen zu todesursächlichen Krankheiten – gelten “für die Zeit vor der Antragsannahme und die nächsten drei Jahre nach der Antragsannahme’. Dieser vertraglichen Regelung lässt sich zwar nicht entnehmen, dass nach Ablauf von “drei Jahren nach der Antragsannahme’ eine an die Gesundheitsverhältnisse des Versicherungsnehmers anknüpfende Anfechtung als solche ausgeschlossen sein sollte. Der die erwähnte Frist enthaltende Satz 2 des vierten Absatzes der Schlusserklärung ist eingeleitet mit der Formulierung: “Dies gilt für die Zeit [ … ]’. Damit ist Bezug genommen auf den vorangegangenen Satz, der seinerseits beginnt mit den Worten: “Ich ermächtige die C [ … ]’. Dies ist bei sachgerechter Auslegung sowohl nach dem Wortlaut ...