StVG §§ 3 Abs. 4 S. 1, 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, 29 Abs. 8 S. 1
1. Das BVerwG hat festgestellt, dass es für den Punktestand an dem in § 4 Abs. 4 S. 4 StVG bezeichneten Stichtag und dem davon abhängigen Umfang des Punkteabzugs ausschließlich darauf ankommt, "welche mit Punkten zu bewertende Verkehrsverstöße der Betroffene zum Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung begangen hat (sog. Tattagsprinzip); es ist nicht erforderlich, dass die Verkehrsverstöße zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftig geahndet sind" (BVerwG v. 25.9.2008 – 3 C 3.07, zfs 2009, 113; BVerwG v. 25.9.2008 – 3 C 34.07, juris; vgl. auch BVerwG zfs 2009, 118). 18 oder mehr Punkte "ergeben sich" i.S.d. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG bereits durch das Begehen eines Verkehrsverstoßes, der zum Erreichen oder Überschreiten der 18-Punkte-Grenze führt, sofern der Verkehrsverstoß später rechtskräftig geahndet wird (Anwendung des sog. Tattagsprinzips). Punktetilgungen, die nach dem für das Erreichen oder Überschreiten der 18-Punkte-Schwelle maßgeblichen Tattag erfolgen, bleiben auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Einfluss.
2. § 3 Abs. 4 StVG steht einer von einer gerichtlichen Entscheidung abweichenden Beurteilung der Frage der Fahreignung durch die Behörde dann nicht entgegen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde über einen umfassenderen Sachverhalt zu befinden hat, als er Gegenstand des strafgerichtlichen Verfahrens war.
(Leitsätze der Schriftleitung)
Bayerischer VGH, Beschl. v. 21.6.2010 – 11 CS 10.377
Aus den Gründen:
[16] “… II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Anders als das VG ist der BayVGH der Auffassung, dass die vom Antragsteller am 23.12.2009 erhobene Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Denn der Bescheid vom 9.12.2009 ist allen derzeit erkennbaren Umständen nach rechtens.
[17] 1. Das Landratsamt ging zutreffend davon aus, dass es dem Antragsteller nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zwingend entziehen musste, da sich durch die von ihm am 12.9.2008 begangene Straftat zu seinen Lasten (mehr als) 18 Punkte ergeben hatten.
[18] a) In den am 25.9.2008 in den Verfahren 3 C 3.07 (a.a.O.) und 3 C 34.07 (juris) erlassenen Urteilen hat sich das BVerwG u.a. zu der Frage geäußert, wann eine Person eine bestimmte Zahl von Punkten i.S.v. § 4 Abs. 4 StVG erreicht hat. Es hat festgestellt, dass es für den Punktestand an dem in § 4 Abs. 4 S. 4 StVG bezeichneten Stichtag und den davon abhängigen Umfang des Punkteabzugs ausschließlich darauf ankommt, ‘welche mit Punkten zu bewertende Verkehrsverstöße der Betroffene zum Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung begangen hat (sog. Tattagsprinzip); es ist nicht erforderlich, dass die Verkehrsverstöße zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftig geahndet sind’ (BVerwG v. 25.9.2008 – 3 C 3.07, [zfs 2009, 113], Rn 27; v. 25.9.2008 – 3 C 34.07, juris, Rn 25).
[19] Dieser Entscheidung für das Tattagsprinzip kommt Bedeutung nicht nur für die Auslegung des § 4 Abs. 4 StVG, sondern auch für das zutreffende Verständnis der in § 4 Abs. 3 S. 1 StVG getroffenen Regelungen zu. Denn die Ausführungen des BVerwG zu der Frage, in welchem Zeitpunkt eine bestimmte Anzahl von Punkten i.S.v. § 4 Abs. 4 StVG ‘erreicht’ wurde, erfolgten, um feststellen zu können, ob sich zu Lasten des Klägers des Verfahrens 3 C 3.07 i.S.v. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG mindestens 14 und zu Lasten des Klägers der Streitsache 3 C 34.07 wenigstens acht Punkte i.S.v. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG ergeben hatten (vgl. die Rn 23 in dem im erstgenannten und die Rn 22 in dem im Verfahren 3 C 34.07 ergangenen Urt. v. 25.9.2008). Es kann nicht angenommen werden, dass nach Auffassung des BVerwG nur die Entscheidung der Vorfrage, ob (und bejahendenfalls in welchem Umfang) die Teilnahme an einem freiwilligen Aufbauseminar oder an einer verkehrspsychologischen Beratung zu einem Punkteabzug führt, anhand des Tattagsprinzips zu erfolgen hat, während bei der Anwendung der in § 4 Abs. 3 S. 1 StVG enthaltenen Befugnisnormen andere Grundsätze gelten sollen. Dass auch beim Vollzug dieser Bestimmung vom Tattagsprinzip auszugehen ist, folgt ferner daraus, dass zwischen dem Sprachgebrauch des § 4 Abs. 3 S. 1 StVG, wonach sich ein bestimmte Zahl von Punkten ‘ergeben’ haben muss, und dem in § 4 Abs. 4–6 StVG verwendeten Begriff des ‘Erreichens’ von Punkten kein sachlicher Unterschied besteht; es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber beide Ausdrucksweisen synonym verwendet hat (BVerwG v. 25.9.2008 – 3 C 3.07, a.a.O., Rn 29; v. 25.9.2008 – 3 C 34.07, a.a.O., Rn 27; v. 25.9.2008 – 3 C 21.07 [zfs 2009, 118], Rn 12 f.).
[20] Allerdings setzen die Maßnahmen, die die Fahrerlaubnisbehörden nach § 4 Abs. 3 StVG beim Erreichen der dort genannten Punktzahlen zu treffen haben, rechtskräftig geahndete Verkehrsverstöße voraus (BVerwG v. 25.9.2008 – 3 C 3.07, a.a.O., Rn 13; v. 25.9.2008 – 3 C 34.07, a.a.O., Rn 12). Auch das Tattagsprinzip verzichtet jedoch keineswegs auf die Rechtskraft der Entscheidungen, durch die die Zuwiderhandlungen geahndet wurd...