VVG §§ 28, 32, 81; EGVVG Art. 1; VGB 88 § 11
1. Die vereinbarte Rechtsfolgenregelung der Obliegenheitsverletzung in § 11 Nr. 2 VGB 88 wird unwirksam, wenn der Versicherer von der Möglichkeit der Vertragsanpassung nach Art. 1 Abs. 3 EGWG keinen Gebrauch gemacht hat.
2. Der Versicherer kann sich in diesem Fall nicht auf (teilweise) Leistungsfreiheit berufen; ein Leistungskürzungsrecht ergibt sich auch nicht aus § 28 Abs. 2 S. 2 VVG unmittelbar.
3. Auf grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 Abs. 2 VVG oder Gefahrerhöhung nach den §§ 23 ff. VVG kann sich der Versicherer weiterhin berufen.
OLG Köln, Urt. v. 17.8.2010 – 9 U 41/10
Aus den Gründen:
“… 2. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf eine Obliegenheitsverletzung nach § 11 Nr. 2 VGB 88 und eine quotale Leistungskürzung berufen.
a) Da der Versicherungsfall in 2009 eingetreten ist, gilt gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG neues Recht. Danach ist die Regelung des § 11 Nr. 2 VGB 88 mit § 28 VVG nicht vereinbar, sodass nach § 32 VVG grundsätzlich Unwirksamkeit eintritt.
In § 11 VGB 88 heißt es auszugsweise wie folgt:
Zitat
1. Der Versicherungsnehmer hat
c) nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten.
2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine dieser Obliegenheiten, so ist der Versicherer nach Maßgabe von § 6 VVG zur Kündigung berechtigt oder auch leistungsfrei. Eine Kündigung des Versicherers wird einen Monat nach Zugang wirksam. Leistungsfreiheit tritt nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht …’
In § 28 VVG heißt es …
Der Vergleich der Vorschriften ergibt, dass § 11 Nr. 2 VGB 88 nicht mit § 28 VVG in Einklang steht. In § 11 VGB 88 wird Bezug genommen auf Kündigung oder Leistungsfreiheit nach § 6 VVG a.F. Das kollidiert aber mit der Neuregelung des § 28, der eine wirksame Vereinbarung über die Leistungsfreiheit voraussetzt (‘bestimmt der Vertrag … ’). Nach altem Recht – auf das § 11 VGB 88 durch Hinweis auf § 6 VVG a.F. Bezug nimmt – konnte eine grob fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzung zur vollen Leistungsfreiheit führen, und bei Vorsatz war zwar die Relevanztheorie zu beachten, aber ohne konkretes Kausalitätserfordernis wie jetzt in § 28 Abs. 3 S. 1. Die quotale Leistungskürzung in § 28 Abs. 2 VVG bei grober Fahrlässigkeit ist im bisherigen Recht nicht enthalten.
Da nach § 32 VVG von § 28 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden kann, ergibt sich grundsätzlich Unwirksamkeit des § 11 Nr. 2 VGB 88. Denn die Neuregelung ist für den Versicherungsnehmer günstiger als die von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen.
b) Eine geltungserhaltende Reduktion auf den zulässigen Inhalt ist – jedenfalls im vorliegenden Fall – unzulässig. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion hat den Sinn, dass nach dem Ziel der §§ 307 ff. BGB auf einen angemessenen Inhalt der in der Praxis verwendeten und empfohlenen AGB hinzuwirken ist und den Kunden die Möglichkeit sachgerechter Information über die ihnen aus dem vorformulierten Vertrag erwachsenen Rechte und Pflichten verschafft werden soll. Hiermit soll eine Störung des Rechtsverkehrs vermieden werden, weil der möglicherweise rechtsunkundige Verwendungsgegner eine Abwicklung nach Maßgabe der AGB einschließlich der unwirksamen Klausel hinnehmen könnte (vgl. BGH NJW 2000, 110; Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., vor § 307 Rn 8). Dieser Gesichtspunkt trägt auch hier.
Demgegenüber kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass der Grund für die Unwirksamkeit außerhalb des Bereichs des Versicherers als Verwender liegt und während der Laufzeit eines bei Abschluss wirksamen Versicherungsvertrags durch eine Gesetzesreform hervorgerufen wurde (vgl. MüKo-VVG/Looschelders, Art. 1 EGWG Rn 27; Hövelmann, VersR 2008, 612; Funck, VersR 2008, 163; Schnepp/Segger, VW 2008, 907). Richtig ist, dass die ursprünglichen Vereinbarungen von den Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzungen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirksam waren. Die Vertragspartner konnten nicht absehen, dass durch eine spätere Gesetzesänderung mit Rückwirkung die Wirksamkeit von Regelungen in Altverträgen zweifelhaft werden könnte. Es ist auch nicht zu verkennen, dass damit die Gefahr bestand, dass das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion hier im Ergebnis zu einer Störung des Äquivalenzverhältnisses führen könnte.
Dieser genannten Ansicht ist indes entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG ein Anpassungsverfahren vorgesehen hat. Er sieht dieses Verfahren als Einschränkung des Grundsatzes der Geltung für Altverträge (vgl. BT-Drucks 16/3945, 118), wobei Bedenken des Bundesrates an der Ausgestaltung des Anpassungsverfahren (vgl. BR-Drucks 707/06, 10 Nr. 16) zu keiner Änderung geführt haben. Danach konnte der Versicherer bis zum 1.1.2009 seine AVG für Altverträge mit...