StPO § 296; StGB § 20 § 21
Leitsatz
1. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist eine Gegenvorstellung nicht mehr statthaft, wenn die Sache wieder beim Ausgangsgericht anhängig ist.
2. Eine Ausnahme gilt nur, wenn dem Beschwerdegericht schwerwiegende Verfahrensfehler unterlaufen sind.
3. Bei einem Kraftfahrer, der an Narkolepsie leidet, kann die Übermüdung so plötzlich einsetzen, dass der davon Betroffene, ehe er einschläft, nichts dagegen unternehmen kann. Ob das auch für Schlafapnoiker gilt, bedarf weiterer Aufklärung nach heutigem Stand der ärztlichen Wissenschaft.
(Leitsätze 1 und 2 des Einsenders, Leitsatz 3 der Schriftleitung)
LG Traunstein, Beschl. v. 22.7.2011 – 1 Qs 225/11
Sachverhalt
In einem Ermittlungsverfahren wegen Gefährdung des Straßenverkehrs hat das AG dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO vorläufig entzogen.
Das LG hat auf Beschwerde des Beschuldigten mit Beschl. v. 8.7.2011 den Beschl. des AG aufgehoben.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschl. des LG Gegenvorstellung erhoben. Sie meint, der Beschl. gehe von einer Übermüdung des Beschuldigten aus, zumal die Kammer darauf hinweist, dass von Seiten der Verteidigung eingeräumt wird, der Beschuldigte sei "Schlafapnoiker". Deswegen greife die BGH-Rspr., wonach Übermüdung im Straßenverkehr immer subjektiv erkennbar ist und sich ankündige.
Die Gegenvorstellung verwirft das LG als unzulässig.
2 Aus den Gründen:
“ … Gegen die Entscheidung des LG ist eine Gegenvorstellung nicht mehr statthaft, wenn die Sache wieder beim Ausgangsgericht anhängig ist, wie hier (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., vor § 296, Rn 24 m.w.N.).
Eine Ausnahme gilt nur, wenn dem Beschwerdegericht schwerwiegende Verfahrensfehler unterlaufen sind.
Einen solchen Verfahrensfehler kann die Kammer jedoch nicht erkennen. Die Staatsanwaltschaft führt auch nicht aus, worin dieser nun genau liegt und weswegen dieser, auch unter Berücksichtigung der BGH-Rspr., die Aufhebung der vorläufigen Entziehung betrifft.
Die von der Staatsanwaltschaft angeführte BGH-Rspr., gemeint ist offensichtlich die Entscheidung des 4. Strafsenats v. 18.11.1969, Az. 4 StR 66/69, greift jedoch nicht.
Nicht richtig ist schon, dass die Kammer in ihrem Beschl. v. 8.7.2011, wie von der Staatsanwaltschaft behauptet, von einer Übermüdung ausgeht. Dort ist lediglich ausgeführt, dass das Unfallgeschehen eine entsprechende Deutung zulässt. Im Gegensatz zum “BGH-Fall’, wo die Übermüdung eindeutig feststand, gibt es hier nur entsprechende Anzeichen.
Der BGH hat seinerzeit entschieden, dass nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft (1969!) der Erfahrungssatz besteht, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft (einnickt), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder wenigstens wahrnehmen kann. Ausgenommen hiervon ist der (seltene) Fall, dass der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet.
Der BGH führt in den Entscheidungsgründen unter Ziffer III, aus:
Zitat
“Zur Vermeidung von Missverständnissen wird nochmals betont, dass diese Auffassung samt der nachstehend gegebenen Begründung nur den Fall betrifft, in welchem ein Kraftfahrer, der weder Alkohol genossen noch Narkotika oder Medikamente zu sich genommen hat und der in ausgeruhtem Zustand die Fahrt angetreten hat, während der Fahrt am Lenker seines Kraftwagens “einnickt’ … Gesichert ist die Erkenntnis, dass ein (gesunder) bisher hellwacher Mensch nicht so plötzlich von Müdigkeit überfallen werden kann, dass er von einem zum anderen Augenblick einschläft. Die aufkommende Müdigkeit kündigt sich vielmehr durch besondere Anzeichen an’.
Der BGH, der sich dreier namhafter Sachverständiger bediente, entscheidet weiter:
Zitat
“Im übrigen aber haben die drei Sachverständigen aufgrund ihrer Kenntnisse und der in der letzten Zeit durchgeführten Beobachtungen und Untersuchungen übereinstimmend dargelegt, dass jedenfalls ein gesunder Kraftfahrer nicht unversehens während der Fahrt einschlafen (einnicken) kann, ohne dass er zuvor Anzeichen einer erheblichen Müdigkeit an sich wahrgenommen hat oder mindestens wahrnehmen konnte. … Das alles gilt auch … für Kraftfahrer, die an bestimmten Krankheiten oder Zuständen leiden, welche – wie etwa Herzleistungsschwäche, Herzmuskelerkrankungen, Infekte, Blutmangelkrankheiten, Hypotonie – frühzeitige Erschöpfungszustände auslösen können. … Eine Ausnahme gilt nach der insoweit übereinstimmenden Bekundung der Sachverständigen nur für den Fall, dass der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet. Hierbei kann in der Tat die Übermüdung so plötzlich einsetzen, dass der davon Betroffene, ehe er einschläft, nichts dagegen unternehmen kann’.
Ob Schlafapnoiker so eine Ausnahme nach heutigem Stand der ärztlichen Wissenschaft (2011) darstellen, weiß die Kammer nicht, weswegen auch die Erholung eines entsprechenden Gutachtens angeregt wurde. (siehe auch: Dr. Ingo E. Fromm, juris PR-StrafR 14/2011, Schlafapnoe: Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 69 StGB?).
Im vorliegenden Fall sind jedoch bereits keine Feststellungen dazu...