SOG Hamb § 7 Abs. 1, VwVG Hamb § 27
Leitsatz
1. Ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls sicher, dass der Fahrer eines verkehrsordnungswidrig abgestellten Fahrzeugs in Kürze die Störung/Behinderung selbst beseitigen wird, so ist eine Abschleppanordnung i.d.R. nicht verhältnismäßig, da durch das Abschleppen des Fahrzeugs die Störung/Behinderung erkennbar allenfalls um einige Minuten verkürzt werden könnte. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Störer vorsätzlich über eine ihm gegenüber mündlich ergangene Anordnung hinwegsetzt.
2. Eine Abschleppanordnung darf nicht aus Gründen der General- oder Spezialprävention getroffen werden.
Hamburgisches OVG, Urt. v. 8.6.2011 – 5 Bf 124/08
Sachverhalt
Die Kl. wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbescheid der Bekl. für einen abgebrochenen Abschleppvorgang. Ihre Klage blieb beim VG erfolglos.
Die Kl. hatte ihren Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … am Morgen des 7.11.2003 im X-Weg nahe dessen Einmündung in die Y-Straße geparkt, um eines ihrer Kinder in den nahegelegenen Kindergarten St. zu bringen. Der Eingang des Kindergartens liegt etwa 20 – 30 m von der genannten Einmündung entfernt. Der Polizeibedienstete O ordnete das Abschleppen des Fahrzeugs an. Bevor das Abschleppfahrzeug eingetroffen war, hatte die Kl. ihr Fahrzeug entfernt.
Mit Kostenfestsetzungsbescheid v. 12.7.2004 forderte die Behörde für Inneres (Polizei) von der Kl. den Ersatz von Kosten für einen abgebrochenen Abschleppvorgang i.H.v. 90,24 EUR. Zur Begründung heißt es im Bescheid, das Fahrzeug der Kl. habe von 8.30 Uhr bis 8.43 Uhr verkehrsbehindernd gestanden. Es habe auf dem nicht zum Parken freigegebenen Gehweg geparkt. Hierdurch sei dieser erheblich eingeengt worden, so dass Fußgänger behindert worden seien. Schwerbehinderte mit Rollstuhl oder Fußgänger mit Kinderwagen hätten auf die Fahrbahn bzw. den Radweg ausweichen müssen. Eine Gefährdung sei nicht auszuschließen gewesen. In dem in der Sachakte enthaltenen Vorgangsbericht ist als Anrufzeit beim Abschleppunternehmen 8.37 Uhr notiert, als Einsatzende sei von der Abschleppfirma 8.43 Uhr gemeldet worden.
2 Aus den Gründen:
“ … Die vom BG zugelassene und auch sonst zulässige Berufung der Kl. hat Erfolg. Auf ihre rechtzeitig erhobene Klage sind der Kostenfestsetzungsbescheid der Polizei v. 12.7.2004 sowie der Widerspruchsbescheid v. 29.6.2006 aufzuheben, da sie rechtswidrig sind und die Kl. in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Bekl. kann von der Kl. die Kosten des abgebrochenen Abschleppvorgangs nicht gem. § 7 Abs. 3 SOG verlangen, weil die Abschleppanordnung, die der Polizeibedienstete O. getroffen hat, nicht rechtmäßig war. Zwar hatte die Kl. verkehrsordnungswidrig geparkt und hiermit wohl eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bewirkt. Doch war die Abschleppanordnung zur Beseitigung der Störung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles nicht erforderlich.
1. Die Kl. parkte am Morgen des 7.11.2003 im X-Weg teilweise auf dem Gehweg, der dort nur eine Breite von 1,50 m hat (drei Gehwegplatten à 50 cm Kantenlänge; vgl. die Bilder der Örtlichkeit bei Google maps, street view). Dieses Verhalten war verkehrsordnungswidrig, da das Gehwegparken dort nicht erlaubt war (§§ 12 Abs. 4 und Abs. 4a, 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO in der damals geltenden Fassung).
Hierdurch dürfte es jedenfalls auch zur Möglichkeit einer Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen sein. Die Kl. hat in der Klageschrift selbst angegeben, ihr Fahrzeug "teilweise auf dem Gehweg abgestellt" zu haben; in der mündlichen Verhandlung beim VG sprach sie davon, das Fahrzeug habe "nur mit den beiden rechten Reifen auf dem Gehweg gestanden". Angesichts der geringen Breite des Gehwegs kann dies den Verkehrsverstoß aber nicht als unbedeutend erscheinen lassen. Selbst wenn es möglich gewesen sein sollte, unter Benutzung des zwischen der gepflasterten Zufahrt zum Kita-Spielplatz und der Straßeneinmündung befindlichen Grünbereichs rechts des Gehwegs (in Blickrichtung Y-Straße) am Fahrzeug der Kl. vorbei zu gelangen – einen Radweg gibt es dort entgegen der Darstellung im Kostenfestsetzungsbescheid nicht –, müssen sich z.B. Rollstuhlfahrer und auch Fußgänger mit Kinderwagen ein (nur vielleicht mögliches) Ausweichen über eine zum Betreten/Befahren nicht vorgesehene Grünfläche nicht zumuten lassen. Die Ausführungen der Kl. über die Schwierigkeiten, die sie als Mutter mit Kindern (gehabt) habe, können ihren Verkehrsverstoß und die damit verbundene Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer (darunter wohl ebenfalls Mütter mit Kindern) nicht relativieren.
2. Die heute kaum noch mögliche exakte Klärung der damaligen Parkposition ist indes entbehrlich, da auch dann, wenn der Pkw der Kl. andere Verkehrsteilnehmer tatsächlich behinderte, die Anordnung, den Pkw abschleppen zu lassen, rechtswidrig war. Gem. § 7 Abs. 1 SOG darf eine Maßnahme im Wege der unmittelbaren Ausführung nur getroffen werden, wenn auf andere Weise eine Gefahr nicht abgewehrt bzw. eine Störung nicht beseitigt werden kann. Diese Voraussetzungen war...