BGB § 843; SGB X § 116; SGB XI § 36 ff.
Leitsatz
a) Der Übergang von Schadensersatzansprüchen nach § 1542 RVO, § 116 Abs. 1 SGB X vollzieht sich grds. schon im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, soweit der Sozialversicherungsträger dem Geschädigten möglicherweise in Zukunft Leistungen zu erbringen hat, die sachlich und zeitlich mit den Erstattungsansprüchen des Geschädigten kongruent sind.
b) Dieser Grundsatz erfährt eine Ausnahme in den Fällen, in denen neue Leistungsberechtigungen erst nach dem Schadensereignis aufgrund so genannter "Systemänderungen" geschaffen werden.
c) Die Neuregelung des Anspruchs auf häusliche Pflegehilfe in §§ 36 ff. SGB XI bedeutet keine Systemänderung, sondern lediglich eine Modifizierung der bereits seit 1989 in §§ 53 ff. SGB V a.F. vorgesehenen Pflegeleistungen (Fortentwicklung der Senatsurt. v. 18.2.1997 – VI ZR 70/96, BGHZ 134, 381, 386 und v. 3.12.2002 – VI ZR 142/02, VersR 2003, 267).
BGH, Urt. v. 12.4.2011 – VI ZR 158/10
Sachverhalt
Die kl. Trägerin der gesetzlichen Pflegeversicherung nimmt die bekl. Stadt aus übergegangenem Recht ihres Versicherten I auf Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch. Die Versicherte hatte bei ihrer Geburt im Jahre 1981 im Städtischen Krankenhaus G, dessen Trägerin die Bekl. war, einen irreversiblen Hirnschaden aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers erlitten. Die Versicherte und die Bekl. schlossen im Jahre 1991 einen Vergleich, in dem sich die Bekl. zur Zahlung von 626.000 DM verpflichtete. Mit der Zahlung sollten alle Ansprüche der Versicherten aus Anlass ihrer Geburt abgegolten sein. Im Dezember 1992 verpflichtete sich die Bekl. gegenüber der AOK L, bei der I gesetzlich krankenversichert war, deren künftige Aufwendungen, soweit sie schadensbedingt und übergangsfähig sind, zu 70 % zu erstatten. Am 1.1.1994 ging die AOK L durch Vereinigung gem. § 145 SGB V in der AOK S, bei der die klagende Pflegekasse besteht, auf. Die Pflegekasse gewährte ab August 2006 ihrer Versicherten Pflegegeld gem. Pflegestufe I.
Die Kl. verlangt von der Bekl. die Erstattung von 70 % des in der Zeit vom August 2006 bei Dezember 2009 gezahlten Pflegegeldes und führt zur Begründung aus, die von der Pflegekasse erbrachten Leistungen seien auf den ärztlichen Behandlungsfehler bei der Geburt zurück zu führen. Weiterhin hat sie die Feststellung begehrt, dass die Bekl. aufgrund des Vergleichs vom Dezember 1992 verpflichtet ist, der Pflegekasse alle infolge des Behandlungsfehlers v. 22.3.1981 noch entstehenden Aufwendungen zugunsten der Versicherten zu 70 % zu ersetzen.
LG und BG haben die Klage abgewiesen. Das BG ging davon aus, dass mit dem Abfindungsvergleich im Jahre 1991 die Ansprüche abgegolten worden seien und nicht auf die Pflegekasse übergegangen seien. Ein Übergang habe nicht eintreten können, weil die Leistungspflicht der Pflegekasse erst zum 1.1.1995 durch die Einführung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, damit nach dem Schadensereignis und dem Vergleich zwischen der Versicherten und der Bekl. eingeführt worden sei.
Dieser Begründung folgte der BGH nicht, sondern verwies nach Aufhebung der von der Kl. angefochtenen Entscheidung die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BG zurück.
2 Aus den Gründen:
[6] “… Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des BG, die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche der Versicherten wegen vermehrter Bedürfnisse aus § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB hätten frühestens am 1.1.1995 auf die bei der AOK S bestehende Pflegekasse oder einen anderen Sozialversicherungsträger übergehen können mit der Folge, dass diese Ansprüche von dem zwischen der Versicherten und der Bekl. geschlossenen Abfindungsvergleich v. 25./31.12.1991 erfasst worden und nach §§ 779, 362 BGB erloschen seien.
[7] 1. Die Erwägungen des BG erweisen sich im Ausgangspunkt allerdings als zutreffend.
[8] a) Das BG hat zu Recht angenommen, dass sich der Übergang von Schadensersatzansprüchen sowohl nach § 116 Abs. 1 SGB X als auch nach dem gem. § 120 Abs. 1 S. 1 SGB X auf Schadensereignisse vor dem 30.6.1983 anwendbaren § 1542 RVO grds. schon im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses vollzieht, soweit der Sozialversicherungsträger dem Geschädigten möglicherweise in Zukunft Leistungen zu erbringen hat, die sachlich und zeitlich mit den Erstattungsansprüchen des Geschädigten kongruent sind. Dabei reicht selbst eine weit entfernte Möglichkeit des Eintritts solcher Tatsachen aus, aufgrund derer Versicherungsleistungen zu erbringen sein werden; es darf die Entstehung solcher Leistungspflichten nur nicht völlig unwahrscheinlich, also geradezu ausgeschlossen sein (vgl. Senatsurt. v. 18.2.1997 – VI ZR 70/96, BGHZ 134, 381, 383 f.; v. 17.4.1990 – VI ZR 276/89, VersR 1990, 1028, 1029; … ). Dieser frühe Zeitpunkt ist für den Forderungsübergang auch wegen solcher Leistungen maßgebend, deren inhaltliche Ausgestaltung durch Veränderungen im Leistungsgefüge erst später erfolgt, soweit eine als Grundlage für den For...