OWiG § 46; StPO § 147
Leitsatz
Im Bußgeldverfahren ist dem Verteidiger Einsicht in die Bedienungsanleitung des genutzten Geschwindigkeitsmessgeräts zu gewähren – bei Verteidigern, die ihren Kanzleisitz nicht am Sitz der Verwaltungsbehörde haben, durch Übersendung in ihre Kanzleiräume.
(Leitsatz der Schriftleitung)
AG Oldenburg, Beschl. v. 29.8.2012 – 29b OWi 18/12
Sachverhalt
Auf Antrag des Verteidigers stellt das AG fest, dass die Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, dem Betr. über seinen Verteidiger Einsicht in die Bedienungsanleitung für das Messgerät Police-Pilot Provida 2000 durch Übersendung in dessen Kanzleiräume zu gewähren.
2 Aus den Gründen:
“ … . Der Antrag ist nach § 62 OWiG zulässig, er ist auch begründet.
Dem Betr. wird in dem bei der Stadt Oldenburg anhängigen Bußgeldverfahren eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen, die mit dem Messgerät Police-Pilot Provida 2000 festgestellt worden ist.
Der Verteidiger des Betr. begehrt von der Verwaltungsbehörde – Stadt Oldenburg – die Übersendung der Bedienungsanleitung für dieses Geschwindigkeitsmessgerät zur Einsicht.
Die Verwaltungsbehörde hat auf diesen Antrag hin die Bedienungsanleitung nicht an den Verteidiger übersandt. Sie hat die von ihr selbst bei der Polizei angeforderte Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes von dieser unter Hinweis auf den Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport – Landespräsidium für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz – v. 8.3.2012 – Aktenzeichen: P 22.25-02435-120 – nicht erhalten.
Der Betr. hat über seinen Verteidiger Anspruch auf Einsicht in sämtliche Unterlagen, die zur Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Einspruchs notwendig sind. Dazu gehört in Verfahren wegen Geschwindigkeitsverstößen auch die Einsicht in die Bedienungsanleitung des zum Einsatz gekommenen Messgeräts, da die Ordnungsmäßigkeit der Messung nur bei Kenntnis der Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgeräts hinreichend überprüft werden kann.
Jedenfalls Verteidigern, die ihren Kanzleisitz nicht am Sitz der Verwaltungsbehörde haben, ist diese Einsicht in die Bedienungsanleitung durch Übersendung in ihre Kanzleiräume zu gewähren.
Bedenken aus Gründen des Urheberrechts bestehen gegen diese Handhabung nicht (vgl. dazu AG Hildesheim, Beschl. v. 29.11.2011 – 29 OWi 27/11 – m.w.N.). Demgemäß ist die Verwaltungsbehörde hier verpflichtet, dem Betr. über seinen Verteidiger die beantragte Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung für das zum Einsatz gekommene Messgerät durch Übersendung in dessen Kanzleiräume zu gewähren.
Soweit die Verwaltungsbehörde diese Bedienungsanleitung nicht von der Polizei als Verwender des Messgeräts direkt erhält, muss sie diese notfalls vom Hersteller des Geräts erfordern und dem Verteidiger sodann zur Einsicht übersenden. … .“
Mitgeteilt von RA und FA für Verkehrsrecht
Uwe Becker, Uplengen
3 Anmerkung:
Hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang Anspruch auf Einsicht in die Bedienungsanleitung des jeweiligen Messgeräts besteht, gibt es inzwischen zahlreiche amtsgerichtliche Entscheidungen [siehe nur AG Lüdinghausen zfs 2012, 410 und AG Osnabrück zfs 2012, 533 jeweils m.w.N.], nunmehr auch vom AG Oldenburg.
Das besondere an dieser Entscheidung ist, dass der Verwaltungsbehörde selbst die Bedienungsanleitung nicht vorlag und die Polizei ihrerseits eine Übersendung unter Hinweis auf den Erlass des niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport v. 8.3.2012 (Az: P 22.25-02435-120) an die Behörde abgelehnt hat. Die in diesem Erlass vorgeschobenen Bedenken wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht wurden vom Gericht nicht geteilt. Es gab der Verwaltungsbehörde sogar auf, die Bedienungsanleitung notfalls direkt vom Hersteller des Geräts anzufordern und dem Verteidiger sodann zur Einsicht zu übersenden.
Dieser Entscheidung kann nur vollumfänglich zugestimmt werden. Allen Beteiligten des Verfahrens – dem Gericht sowie der Verteidigung – müssen die entscheidungserheblichen Unterlagen, zu denen auch die Bedienungsanleitung aufgrund der in der EichO niedergelegten Vorgaben zwingend gehört, zugänglich gemacht werden. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht den Ermittlungsbehörden. Diese können sich nicht hinter dem Urheberrecht verstecken, welches hinter dem Grundsatz des fairen Verfahrens (und dem Anspruch auf rechtliches Gehör) zurücktreten muss.
RA und FA für Verkehrsrecht Uwe Becker, Uplengen