ZPO § 91 Abs. 2 S. 2
Leitsatz
Die Mehrkosten für einen zweiten Rechtsanwalt sind erstattungsfähig, wenn der erste Prozessbevollmächtigte seine Zulassung zur Anwaltschaft aus achtenswerten Gründen zurückgegeben hat und dies bei Übernahme des Mandats noch nicht absehbar war. Dies ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen.
BGH, Beschl. v. 12.9.2012 – IV ZB 3/12
Sachverhalt
Der von dem Kl. in dem Rechtsstreit vor dem LG bestellte Prozessbevollmächtige hatte im Laufe des Rechtsstreits seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgeben, um anstelle seines verstorbenen Vaters die Pflege seiner demenzkranken Mutter zu übernehmen. Hieraufhin beauftragte der Kl. einen anderen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung. Aufgrund der zu seinen Gunsten ergangenen Kostenentscheidung machte der Kl. im Kostenfestsetzungsverfahren die Kosten beider Rechtsanwälte geltend. Der Rechtspfleger des LG hat die Kosten für den zweiten Prozessbevollmächtigten als nicht erstattungsfähig abgesetzt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Kl. hat das OLG zurückgewiesen. Die dagegen erhoben Rechtsbeschwerde des Kl. hatte vor dem BGH Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] “… II. 1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass es für die Frage, ob ein Wechsel in der Person des Rechtsanwalts eintreten musste (§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO), allein darauf ankomme, ob die Partei oder den Rechtsanwalt ein Verschulden an der Mandatsbeendigung treffe oder nicht. Gebe der erste Prozessbevollmächtigte – wie hier – aus freien Stücken die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurück, so liege die Notwendigkeit der Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten allein in seinem Verantwortungsbereich und sei erstattungsrechtlich seinem Mandanten zuzurechnen.
[6] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[7] Nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die durch einen Anwaltswechsel entstandenen Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten insoweit zu erstatten, als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Das setzt voraus, dass weder die Partei noch den ersten Rechtsanwalt ein Verschulden an der Notwendigkeit des Anwaltswechsels trifft (Zöller/Herget, ZPO 29. Aufl. § 91 Rn 13 Stichwort “Anwaltswechsel’; MüKo-ZPO/Giebel, 3. Aufl. § 91 Rn 70; Musielak/Lackmann, ZPO 9. Aufl. § 91 Rn 22).
[8] a) Es ist umstritten, wie unter diesem Gesichtspunkt die Aufgabe der Zulassung durch den zunächst beauftragten Rechtsanwalt zu beurteilen ist.
[9] aa) Nach überwiegender Auffassung ist ein Verschulden zu verneinen, wenn der Anwalt seine Zulassung aus achtenswerten Gründen aufgibt, es sei denn, dass dieser Umstand bereits bei der Mandatsübernahme absehbar war, weil der erste Anwalt, der seinen Mandanten hierüber nicht informiere, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sei, der auch der Erstattungsfähigkeit der Gebühren entgegenstehe (so OLG Koblenz zfs 1992, 64; JurBüro 2006, 543; OLG Hamm NJW-RR 1996, 1343; MüKo-ZPO/Giebel, a.a.O. Rn 73; Musielak/Lackmann, a.a.O.).
[10] Teilweise wird allerdings vertreten, dass es zwar auf die Gründe der Zulassungsaufgabe ankommen soll, eine freiwillige Aufgabe der Zulassung aber grds. nicht notwendig sei (so Zöller/Herget, a.a.O.).
[11] bb) Nach anderer Ansicht soll es für die Erstattungsfähigkeit genügen, dass der erste Anwalt seine Zulassung aufgegeben hat und die Partei deshalb einen zweiten Rechtsanwalt beauftragen musste. Darauf, ob die Partei dem ersten Anwalt etwa unter Heranziehung von § 628 Abs. 1 S. 2 BGB oder § 326 BGB nichts zahlen müsse, komme es nicht an, weil materiell-rechtliche Fragen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen seien (so OLG München JurBüro 2007, 596 = RVGreport 2008, 27 (Hansens) unter Aufgabe der entgegen gesetzten früheren Rspr. in NJW-RR 2002, 353).
[12] cc) Dagegen vertritt das OLG Naumburg nicht nur den Standpunkt, dass die Wertung des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB auch für die Erstattungsfähigkeit der entstandenen Gebühren gelte, sondern ist weiter der Meinung, dass der Anwalt seinen Gebührenanspruch verliere, soweit seine Leistungen für die Partei wegen Rückgabe der Zulassung wertlos seien, ohne dass es darauf ankomme, ob achtenswerte Gründe für diese Rückgabe vorliegen (OLGR Naumburg 2005, 438, 439 = AGS 2006, 45).
[13] b) Zutreffend ist die zuerst genannte Auffassung.
[14] aa) Im Ausgangspunkt richtig ist die Ansicht des OLG München, dass im Kostenfestsetzungsverfahren grds. nicht zu prüfen ist, ob die erstattungsberechtigte Partei ihrem Prozessbevollmächtigten die geltend gemachten Gebühren tatsächlich schuldet. Die Prüfung hat vielmehr unter rein prozessualen und gebührenrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Materiell-rechtliche Fragen und Einwände sind in diesem Verfahren regelmäßig nicht zu klären und zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 2007, 422 = RVGreport 2007, 110 (Hansens)); das betrifft im Allgemeinen auch die Frage, ob dem Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten gegen seine Partei die Regelungen in § 628 Abs. 1 S. 2 BGB oder § 326 BGB entgegenstehen.
[15] Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung durch § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO