GG Art. 1 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1 Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 § 812 Abs. 1 § 818 Abs. 2
Leitsatz
1. Zur Frage, ob den Eltern einer bei einem Verkehrsunfall Getöteten eine Geldentschädigung zusteht, wenn die Presse über das Unfallgeschehen berichtet und dabei ein ihr von dritter Seite übergebenes neutrales Portraitfoto des Unfallopfers verbreitet hat, obwohl die Eltern die Veröffentlichung eines Bildes ihrer Tochter abgelehnt hatten.
2. Berichtet die Presse über einen die Öffentlichkeit interessierenden schweren Verkehrsunfall mit Todesopfer, stellt die Veröffentlichung eines kontextneutralen Portraitfotos des Unfallopfers im Rahmen der Berichterstattung i.d.R. keine "kommerzielle Verwertung" im Sinne einer Ausnutzung der dem Bild zukommenden Verwertungsmöglichkeiten dar. Auf eine Lizenzgebühr gerichtete Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche des Abgebildeten bzw. seiner Erben bestehen in einem solchen Fall nicht.
BGH, Urt. v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11
Sachverhalt
Die Kl. machen als Erben ihrer 2005 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Tochter gegen das beklagte Presseunternehmen Ansprüche auf Lizenzzahlung, Geldentschädigung und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten wegen der mehrfachen Veröffentlichung einer Fotografie ihrer Tochter in den von der Bekl. herausgegebenen Presseorganen geltend. Die bei dem Verkehrsunfall tödlich verletzte unverheiratete und kinderlose Tochter der Kl. war an dem Eintritt des Unfalls schuldlos. Fahrer und Beifahrer des ihr bei dem Unfall entgegen schleudernden Pkw, der bei dem Zusammenstoß den Tod der Tochter der Kl. verursachte, überlebten den Unfall. In diesem Fahrzeug befand sich als Beifahrer ein Teilnehmer am "Eurovision Song Contest 2004".
Ein Mitarbeiter des Verlags der Bekl. sprach bei den Eltern des Unfallopfers vor und bat um die Überlassung eines Fotos der Getöteten und um weitere Informationen. Das lehnten die Kl. ab und teilten mit, dass sie mit einer Veröffentlichung eines Fotos ihrer Tochter nicht einverstanden seien. Die Bekl. beschaffte sich von unbekannter dritter Seite eine Portraitaufnahme der Getöteten. Dieses Foto veröffentlichte die Bekl. i.V.m. ausführlichen Berichten über den Unfallhergang und teilte Einzelheiten aus dem Privatleben der Getöteten, insb. eine zum Unfallzeitpunkt bestehende Schwangerschaft mit.
Auf Aufforderung der Kl. gab die Bekl. hinsichtlich der erneuten Verbreitung des Fotos eine Unterlassungsverpflichtung ab. Zahlungsansprüche der Kl. wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Getöteten und der Kl. sowie ein Anspruch auf eine fiktive Lizenzgebühr sowie wegen des Rechts am eigenen Bild wurden von dem BG verneint. Der BGH wies die Revision der Kl. zurück.
2 Aus den Gründen:
[12] “1. Ohne Rechtsfehler hat das BG einen Anspruch der Kl. auf Zahlung des begehrten Geldbetrags verneint.
[13] a) Gegen die Ausführungen des BG dazu, dass den Kl. als Erben ihrer getöteten Tochter kein Anspruch auf Geldentschädigung wegen der Verletzung deren Persönlichkeitsrechts zustehe, wendet sich die Revision nicht.
[14] b) Entgegen der Ansicht der Revision ist auch die Auffassung des BG, dass den Kl. kein Anspruch auf Geldersatz wegen der Verletzung ihres eigenen Persönlichkeitsrechts zustehe, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
[15] aa) Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet einen Anspruch auf Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insb. die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1, 12; v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 27; v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298, 306; v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 210; v. 24.11.2009 – VI ZR 219/08, BGHZ 183, 227 Rn 11). Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, weil dieser und die damit zusammenhängenden Ordnungsmittelandrohungen den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen können (vgl. Senatsurt. v. 24.11.2009 – VI ZR 219/08, a.a.O.). Die Gewährung einer Geldentschädigung hängt demnach nicht nur von der Schwere des Eingriffs ab, es kommt vielmehr auf die gesamten Umstände des Einzelfalls an, nach denen zu beurteilen ist, ob ein anderweitiger befriedigender Ausgleich für die Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt (vgl. Senatsurt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, a.a.O. S. 12 f.; v. 24.11.2009 – VI ZR 219/08, a.a.O.).
[16] bb) Ein Anspruch der Kl. bestünde nur, wenn sie selbst durch die Berichterstattung mit dem Portraitfoto ihrer tödlich verletzten Tochter in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden wären. Denn ...