GG Art. 14; StPO § 102
Leitsatz
1. Dem Vermieter einer Wohnung steht für Schäden, die im Zuge einer rechtmäßigen Durchsuchung der Wohnung im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Mieter verursacht worden sind, grds. ein Anspruch aus enteignendem Eingriff zu.
2. Ein dem Anspruch aus enteignendem Eingriff zugrunde liegendes gleichheitswidriges Sonderopfer kann allerdings dann zu verneinen sein, wenn der Vermieter weiß bzw. davon erfährt oder es sich ihm aufdrängen muss, dass die Wohnung für die Begehung von Straftaten, die Lagerung von Diebesgut oder von Drogen benutzt wird oder werden soll, und er gleichwohl den Mietvertrag abschließt oder von einem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht.
BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 253/12
Sachverhalt
Der Kl. ist Miteigentümer einer Eigentumswohnung, an der im Rahmen der gerichtlichen Durchsuchung ein Spezialkommando der Polizei Schäden verursachte. Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses war der Verdacht, dass der Mieter der Wohnung mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel trieb. Der Kl. lebte mit der Schwester des Beschuldigten in einer Beziehung. Das BG hat die von dem Kl. verfolgte Verurteilung des beklagten Landes wegen enteignendem Eingriff verneint. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
[6] "… 1. Soweit das BG einen Schadensersatzanspruch nach § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG wegen der Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Durchsuchung (§§ 102, 105 Abs. 1 StPO) abgelehnt und auch sonstige spezialgesetzliche Entschädigungsansprüche verneint hat, sind Rechtsfehler nicht erkennbar; auch die Revision erhebt insoweit keine Rügen. Insb. ist dem BG darin zuzustimmen, dass der Kl. keine Entschädigung nach § 2 Abs. 1, 2 Nr. 4 StrEG verlangen kann, da es vorliegend um die Entschädigung eines Nichtbeschuldigten geht (vgl. BGH v. 23.8.1989 – 1 BJs 72/87 – 4 – StB 29/89, NJW 1990, 397 f.)."
[7] 2. Nach der st. Senats-Rspr. kommen Ansprüche aus enteignendem Eingriff dann in Betracht, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betr. unmittelbar zu Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (vgl. nur Urt. v. 9.4.1987 – III ZR 3/86, BGHZ 100, 335, 337 = VersR 1987, 1037; v. 11.3.2004 – III ZR 274/03, BGHZ 158, 263, 267 = VersR 2004, 1605 und v. 10.2.2005 – III ZR 330/04, VersR 2005, 796 = NJW 2005, 1363, jeweils m.w.N.). Hierbei geht es zumeist um atypische und unvorhergesehene Nachteile; dies ist für den Anspruch aus enteignendem Eingriff aber nicht Voraussetzung (vgl. nur Senatsurt. v. 30.1.1986 – III ZR 34/85, VersR 1987, 379 = NJW 1986, 2423, 2424). Deshalb steht der Ersatzfähigkeit nicht entgegen, dass Beschädigungen der hier streitgegenständlichen Art bei Wohnungsdurchsuchungen weder atypisch noch unvorhersehbar sind, sondern sich vielmehr eine Gefahr verwirklicht hat, die in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt war (vgl. Senat BGHZ 100, 335, 338 = VersR 1987, 1037).
[8] a) Der enteignende Eingriff stellt einen zwangsweisen staatlichen Zugriff auf das Eigentum dar, der den Betr. im Vergleich zu anderen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ungleich behandelt bzw. trifft und ihn zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt (vgl. nur Senatsurt. v. 12.2.1962 – III ZR 204/60, VersR 1962, 382 = JZ 1962, 609, 611; Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearb. 2013, § 839 Rn 477 m.w.N.). Während beim enteignungsgleichen Eingriff das Sonderopfer durch die Rechtswidrigkeit konstituiert wird, bedarf bei rechtmäßigen Eingriffen die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers einer besonderen Begründung. Hier ist ein Ersatzanspruch nur dann gegeben, wenn die Einwirkungen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere “Schwere’ aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken (vgl. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 344). Ob in diesem Sinn eine hoheitliche Maßnahme die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreitet oder sich noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden (vgl. Senatsurt. v. 5.5.1988 – III ZR 116/87, VersR 1988, 1022, 1023). Maßgeblich ist letztlich, wo nach dem vernünftigen Urteil aller billig und gerecht Denkenden die Opfergrenze liegt (Senatsurt. v. 2.5.1955 – III ZR 271/53, BGHZ 17, 172, 175) bzw. wo die Grenze dessen liegt, was eine Gemeinschaft, die ihre verfassungsmäßige Ordnung in einem sozialen Rechtsstaat gefunden hat, dem Einzelnen entschädigungslos zumuten kann und will (Senatsurt. v. 23.11.1959 – III ZR 146/58, BGHZ 31, 187, 191 = VersR 1960, 37, 40; Kreft, BGB-RGRK, 12. Aufl., vor § 839, Rn 154).