OWiG § 73 Abs. 2 § 74 Abs. 1
Leitsatz
Wird die Fahrereigenschaft eingeräumt und eine weitere Einlassung zur Sache wurde ausgeschlossen, kann mit der Begründung, dass beabsichtigt sei, in der Hauptverhandlung einen rechtlichen Hinweis zu erteilen, ein Entbindungsantrag nicht abgelehnt werden.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.4.2013 – 3 (4) SsRs 153/13 – AK 64/13
Sachverhalt
Nach Einspruch des Betr. gegen den Bußgeldbescheid und Terminsbestimmung zur Hauptverhandlung, beantragte der Verteidiger unter Hinweis auf eine dem Gericht bereits vorliegende “Erklärungsvollmacht’, den Betr. von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, wobei die Täterschaft des Betr. ausdrücklich zugestanden und mitgeteilt wurde, dass dieser in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben machen werde. Das AG lehnte mit Beschl. v. 3.12.2012 den Antrag mit der Begründung ab, eine Erklärungsvollmacht liege nicht vor und es sei beabsichtigt, in der Hauptverhandlung einen rechtlichen Hinweis zu geben. Mit Schriftsatz v. 6.12.2012 legte der Verteidiger eine schriftliche Vertretungsvollmacht vor und wiederholte den Entbindungsantrag. Mit auf den “3.12.2012’ datiertem Beschluss lehnte das AG den Antrag erneut mit der Begründung ab, dass in der Hauptverhandlung ein rechtlicher Hinweis beabsichtigt sei. Auf den mit Schriftsatz v. 21.12.2012 vorgebrachten Einwand des Verteidigers, dass der rechtliche Hinweis bereits vor der Hauptverhandlung und im Übrigen auch ihm gegeben werden könnte, erfolgte keine gerichtliche Reaktion. Nachdem der Betr. im Hauptverhandlungstermin am 3.1.2013 nicht erschienen war, verwarf das AG den Einspruch gem. § 74 Abs. 2 OWiG.
2 Aus den Gründen:
"3. Die Verwerfung des Einspruchs gem. § 74 Abs. 2 OWiG verletzte den Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör."
Gem. § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betr. auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren hier aufgrund der Angaben im Entbindungsantrag – die Fahrereigenschaft wurde eingeräumt, eine weitere Einlassung zur Sache wurde ausgeschlossen – gegeben. Mit der Begründung, dass beabsichtigt sei, in der Hauptverhandlung einen rechtlichen Hinweis zu erteilten, konnte der Entbindungsantrag daher [wohl “nicht’, Anm. d. Schriftl.] abgelehnt werden, zumal § 74 Abs. 1 S. 3 OWiG es ausdrücklich genügen lässt, im Verfahren bei (erlaubter) Abwesenheit des Betr. einen rechtlichen Hinweis nach § 265 Abs. 1 u. 2 StPO dem Verteidiger zu geben.
Die Entscheidung des Gerichts über den Entbindungsantrag steht nicht in seinem Ermessen. Liegen – wie hier – die Voraussetzungen einer Entbindung vor, hat das Gericht dem Antrag zu entsprechen. Indem das AG den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, obwohl der Betroffene von der Pflicht zum Erscheinen hätte entbunden werden müssen, wurde der Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. die o.g. Entscheidungen des OLG Hamm; OLG Bamberg zfs 2006, 708; KG Berlin VRS 115, 429; OLG Rostock, Beschl. v. 7.3.2006 – 2 Ss (OWi) 155/05 I 93/05, juris).
III. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war daher das Urt. des AG v. 3.1.2013 gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 353 StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des AG zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).“
Mitgeteilt von RA JR Hans-Jürgen Gebhardt, Homburg
3 Anmerkung:
Die Nuance des rechtlichen Hinweises kommt nicht allzu selten vor, dennoch ist verwunderlich, warum die klar im Gesetz verankerte Möglichkeit des Hinweises an den Verteidiger im Abwesenheitsverfahren dem AG hier nicht genügte. Ggf. muss dem Betr. bzw. seinem Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Hauptverhandlung unterbrochen oder ausgesetzt werden; dies gilt ebenso bei der Veränderung rechtlicher Gesichtspunkte (KK OWiG/Senge, § 74 Rn 13; Göhler/Seitz, § 74 Rn 18). Keinesfalls darf aber der Entbindungsantrag abgelehnt und dann ein Verwerfungsurteil erlassen werden, das stellt nicht nur einen Verfahrensfehler dar, sondern verstößt auch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und beschneidet den Betr. im Recht auf eine richtige Sachentscheidung (OLG Jena, Verkehrsrecht aktuell 2011, 159).
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 11/2013, S. 653 - 654