Die Beurteilung der Haftungsverteilung bei irreführenden Blinkzeichen bestimmt sich nach der Reichweite des Vertrauensgrundsatzes. Der Verkehrsteilnehmer, der sich selbst verkehrsgerecht verhält, darf grds. darauf vertrauen, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten, solange ihm nichts Gegenteiliges erkennbar ist (vgl. BGH VRS 33, 368; BayObLG VRS 60, 308; OLG Hamburg VRS 6, 366). Ein Vertrauensgrundsatz zugunsten des Wartepflichtigen, der damit verlässlich rechnen kann, der vorfahrtsberechtigte Blinkende werde entsprechend seines Setzens des Fahrtrichtungsanzeigers abbiegen, ohne dass sich die Fahrlinien beider Fahrzeugen kreuzen, ist damit nur dann begründet, wenn nicht nur das Blinkzeichen gesetzt ist, sondern auch sonstige, zwangsläufig mit dem Abbiegen verbundene Fahrmanöver erkennbar sind, wie das Herabsetzen der Geschwindigkeit des vorfahrtsberechtigten Fahrzeugs und ggf. eine Einordnung in den Abbiegevorgang. Fehlt es an solchen Umständen, ist dem Wartepflichtigen möglicherweise Gegenteiliges zu dem durch Blinken angezeigten beabsichtigten Verkehrsvorgang erkennbar; jedenfalls aber besteht kein tragfähiger Vertrauensgrundsatz zugunsten des Wartepflichtigen, mit dem Einfahren in die vorfahrtsberechtigte Straße zu beginnen. Angesichts der überragenden Bedeutung der Vorfahrtsregelung für die Sicherheit des Straßenverkehrs erscheinen hohe Anforderungen an die Begründung eines Vertrauensgrundsatzes zugunsten des Wartepflichtigen angezeigt. Mit verkehrswidrigem Verhalten vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer muss er ohnehin rechnen, so dass nur eine Kombination von Blinkzeichen und Reduktion der Geschwindigkeit, ggf. einschließlich der Einordnung in den Abbiegvorgang die Annahme eines vertrauensgeschützten bevorstehenden Abbiegevorgang des Vorfahrtsberechtigten trägt (vgl. auch BGH NZV 1996, 27, 28; OLG Hamm NJW-RR 2003, 975). Für die Haftungsverteilung für Unfälle im Zusammenhang mit irreführendem Blinkzeichen bietet sich damit folgende Aufgliederung an:
a) Irreführendes Blinken ohne Herabsetzen der Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten und Unfall mit Einbiegendem: im Regelfall bei gleicher Betriebsgefahr jeweils hälftige Haftung (vgl. OLG Hamburg VersR 1966, 195; OLG Hamm VersR 1975, 161; LG Bonn DAR 2002, 455; AG Langen zfs 1980, 37)
b) Gesetzter Blinker und Herabsetzung der Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten der entgegen seinem angekündigten Fahrverhalten geradeaus fährt und Zusammenstoß mit einbiegendem Wartepflichtigen: Tendenziell wird von einer überwiegenden Haftung des Vorfahrtberechtigten ausgegangen; zwischen 100 % Haftung (vgl. KG NZV 1990, 155) und 70 % Haftung (vgl. OLG Dresden VersR 1995, 234; OLG Hamm r + s 2004, 168) und 75 % wird eine Haftungsabwägung vorgenommen (vgl. LG Rostock DAR 2001, 227; AG Bad Doberan DAR 1999, 553).
Sonderfälle bilden das fehlgedeutete Blinken wegen eines Fahrspurwechsels (OLG Hamm VRS 57, 69) und das schwer zu deutende Blinken im Kreisverkehr (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Janker/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 8 StVO Rn 64: kein Vertrauensgrundsatz wegen fehlendem Zurückstellen des Blinkers (KG VM 79/70).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 11/2013, S. 623 - 625