OWiG § 72 Abs. 1
Leitsatz
Ein bereits vor dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 OWiG ausdrücklich oder schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung wird nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betr. auf den späteren Hinweis schweigt oder die ausdrückliche Anfrage des Richters, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet lässt.
OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.2013 – 1 RBs 57/13
1 Aus den Gründen:
"I. Gegen den dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Bußgeldbescheid des Landrats des Kreises T v. 12.6.2012 hat der Betr. mit Schriftsatz seines Verteidigers v. 19.6.2012 rechtzeitig Einspruch eingelegt und gleichzeitig erklärt, dass einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ausdrücklich widersprochen werde. Das AG S hat mit dem angefochtenen Beschluss im schriftlichen Verfahren gem. § 72 OWiG gegen den Betr. wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 95 EUR verhängt, nachdem es mit Schreiben v. 1.10.2012 an den Betr. auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss sowie des Widerspruchs hiergegen innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG hingewiesen hatte und innerhalb dieser Frist ein Widerspruch weder durch den Betr. noch durch seinen Verteidiger erfolgt war. Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betr., mit der er sich auf seinen bereits mit dem Einspruchsschreiben v. 19.6.2012 erklärten Widerspruch gegen eine Entscheidung im Beschlusswege berufen hat."
II. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG statthaft und frist- und formgerecht eingelegt worden. Die erhobene Verfahrensrüge, es sei durch das AG im Beschlussverfahren nach § 72 Abs. 1 OWiG trotz eines rechtzeitig erklärten Widerspruchs gegen dieses Verfahren entschieden worden, ist in der gem. § 344 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG gebotenen Form erhoben worden. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Das AG hat im Beschlusswege nach § 72 OWiG entschieden, obwohl der Betr. diesem Verfahren rechtzeitig, nämlich bereits mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid widersprochen hatte. Ein bereits vor dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 OWiG ausdrücklich oder schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung wird nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betr. auf den späteren Hinweis schweigt oder die ausdrückliche Anfrage des Richters, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet lässt (vgl. Senatsbeschl. v. 21.10.2011 – III-1 RBs 117/11 – m.w.N., juris). Die Voraussetzungen nach § 72 OWiG lagen somit nicht vor, so dass das AG nicht im Beschlussverfahren hätte entscheiden dürfen. Der angefochtene Beschluss konnte daher keinen Bestand haben und war aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG S zurückzuverweisen.“
zfs 11/2013, S. 653