Die beiden vorstehend abgedruckten Entscheidungen scheinen Routine zu sein. Zuweilen muss man Routinen aber hinterfragen, um ihre Berechtigung zu verstehen.
VR und VN einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung haften dem Geschädigten nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 4 VVG als Gesamtschuldner. Zu einem – der Höhe nach durch §§ 5, 6 KfzPflVV begrenzten – Rückgriff des VR gegen seinen VN (oder die versicherte Person) kommt es, wenn der VR dem VN (oder der versicherten Person) gegenüber im Versicherungsverhältnis leistungsfrei ist: Dann entsteht ein Ausgleichsanspruch des VR, dessen Grundlage sowohl § 426 Abs. 1 S. 1 BGB ist als auch § 426 Abs. 2 BGB i.V.m. dem auf den VR übergegangenen Anspruch des Geschädigten gegen den VN (und/oder die versicherte Person). Nur zusätzlich (und das verkennt das AG Lüdenscheid) hat der VR nach § 116 Abs. 1 S. 3 VVG einen Anspruch auf die – über die Entschädigungsleistung hinausgehenden – Aufwendungen, die der VR für erforderlich halten durfte.
Gelegentlich wenden Rückgriffsschuldner ein, ein Anspruch des Geschädigten gegen den VR (sowie den VN und/oder die versicherte Person) habe gar nicht oder jedenfalls nicht in dieser Höhe bestanden. Damit haben sie in aller Regel keinen Erfolg. Es ist völlig unbestrittene Rspr., dass es in einem weiten, pflichtgemäßen Ermessen des VR steht, ob und in welchem Umfang er den Geschädigten befriedigt (BGH VersR 1981, 180; Stiefel/Maier, AKB, § 116 Rn 74). Die Überschreitung oder den Missbrauchs dieses Ermessens muss der Rückgriffsschuldner beweisen (BGH a.a.O.; Halm/Kreuter/Schwab, AKB A.1.1.4. Rn 231).
Das hatte allerdings früher seine Grundlage in § 3 Nr. 10 S. 1 PflVG a.F., nachdem der VN (oder die versicherte Person) bei einem Regress ein rechtskräftiges Urteil gegen den VR, ein Anerkenntnis (des VR) oder einen Vergleich über den Schadensersatzanspruch gegen sich gelten lassen musste, sofern der Rückgriffsschuldner nicht nachweisen konnte, dass der VR bei der Regulierung seine Pflichten aus dem Versicherungsvertrag schuldhaft verletzt hatte. Die Vorschrift existiert indessen nicht mehr; sie wurde aufgehoben, weil der Reformgesetzgeber davon ausging, die wesentlichen Regelungen des "alten" § 3 PflVG in die §§ 114 ff. VVG übernommen zu haben. Für § 3 Nr. 10 PflVG a.F. gilt das indessen gerade nicht.
Also gilt grds. die Regelung des § 426 Abs. 1 und 2 BGB. Ausgleich kann der leistende Gesamtschuldner natürlich nur verlangen, als er einen tatsächlich bestehenden Anspruch des Geschädigten befriedigt hat. Und das muss er nach allgemeinen Beweislastregeln beweisen. Das gilt jedoch nur, soweit sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt. Folgt nun aus AKB A.1.1.4. wirklich etwas anderes? Die Vorschrift gewährt dem VR eine "Regulierungsvollmacht", die nicht nur im Außenverhältnis den VR zum Vertreter des VN bei der Abgabe von Willenserklärungen macht, sondern ihm im Innenverhältnis den Auftrag erteilt, gegen den VN geltend gemachte (also nicht nur bestehende) Schadensersatzansprüche zu erfüllen oder abzuwehren und alle dafür zweckmäßig erscheinenden Erklärungen nach pflichtgemäßem Ermessen abzugeben. Bedeutet das aber wirklich auch für den Regress, dass der VR sich, nur weil es ihm wirtschaftlich vielleicht vernünftig erschienen ist, nicht mit dem Geschädigten zu streiten, einen Rückgriffsanspruch für vom VN gar nicht (in dieser Höhe) geschuldeten Schadensersatz verschaffen kann? Und dass darüber hinaus der VN beweisen muss, dass ihn ein solcher Anspruch gar nicht getroffen hat und der VR bei seiner Annahme geradezu willkürlich gehandelt hat? Aus dem Wortlaut der Klausel, der ja Ausgangspunkt ihrer Interpretation ist, ergibt sich das jedenfalls nicht.
PräsOLG Prof. Dr. Roland Rixecker
zfs 11/2013, S. 638 - 639