AVB Grundfähigkeitsversicherung § 2
Leitsatz
Wenn die AVB einer Grundfähigkeitsversicherung als eine von mehreren für den Versicherungsfall maßgeblichen beeinträchtigten Grundfähigkeiten die Fähigkeit sich niederzuknien oder so weit zu bücken, um einen leichten Gegenstand vom Boden aufzuheben, nennen, so ist diese Voraussetzung nur erfüllt, wenn beide Bewegungen nicht mehr möglich sind.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 9.7.2014 – 5 U 86/13
Sachverhalt
Die Kl. macht die ihr in einem bei der Bekl. bestehenden Vertrag über eine Grundfähigkeitsversicherung versprochene Rente geltend.
In § 2 der AVB heißt es:
"1 Die Beeinträchtigung liegt vor, wenn die versicherte Person während der Versicherungsdauer … insgesamt mindestens 12 Monate lang ununterbrochen nicht fähig war oder nicht fähig sein wird, … drei der in B) beschriebenen Aktivitäten ohne Hilfsmittel, ausgenommen vorhandene künstliche Gliedmaßen, durchzuführen."
B) Fähigkeitskatalog 2
Beschreibung, wie die versicherte Person bei Ausführung der Aktivitäten beeinträchtigt sein muss:
Gehen
Die versicherte Person kann keine Entfernung von 200 m über einen ebenen Boden gehend zurücklegen, ohne anzuhalten, um sich abstützen oder setzen zu müssen.
Treppensteigen
Die versicherte Person kann nicht eine Treppe mit 12 Stufen hinauf- oder hinabgehen, ohne eine Pause von mindestens 1 Minute zu machen oder sich an dem Treppengeländer festzuhalten.
Knien oder Bücken
Die versicherte Person ist nicht fähig, sich niederzuknien oder so weit zu bücken, um einen leichten Gegenstand vom Boden aufzuheben und sich dann wieder aufzurichten.
Stehen
Die versicherte Person ist nicht fähig, 10 Minuten lang zu stehen, ohne sich abzustützen.“
Die Kl. erlitt am 8.8.2009 einen Unfall, bei dem sie sich das Knie erheblich verletzte. Sie behauptet, sie könne keine Treppen mehr steigen, keine 200 Meter mehr gehen und sich auch nicht niederknien. Stehen könne sie bis zu 10 Minuten. Ein gerichtlicher SV hat festgestellt, dass die Kl. keine 200 Meter mehr gehen keine Treppen mehr steigen könne ohne sich abzustützen, und dass nicht niederknien könne.
2 Aus den Gründen:
" … Die Kl. hat keinen Anspruch auf Rentenzahlung und Beitragsfreistellung, weil sie nicht bewiesen hat, dass sie mindestens 12 Monate lang ununterbrochen nicht fähig war oder in Zukunft nicht fähig sein wird, drei Grundfähigkeiten nach § 2 der Versicherungsbedingungen durchzuführen. Dies ist nach § 1 der Versicherungsbedingungen Voraussetzung für die Leistungspflicht der Bekl."
(a) Gegen die Feststellung des Sachverständigen, dass die Kl. noch 10 Minuten stehen könne, ohne sich abzustützen, hat die Kl. nichts eingewandt. Ohnehin hat sie zu keinem Zeitpunkt behauptet, keine 10 Minuten mehr stehen zu können. Dass die Kl. auf dem rechten Bein alleine nicht 10 Minuten stehen könne, ist nicht entscheidend. Nach § 2 B) “Stehen‘ der Bedingungen kommt es nur darauf an, ob die versicherte Person fähig ist, 10 Minuten lang zu stehen, ohne sich abzustützen, nicht darauf, ob sie dies auf einem Bein alleine kann oder nicht.
(b) Als dritte Grundfähigkeit kommt deshalb nach dem Klagevortrag nur noch § 2 B) “Knien oder Bücken‘ der Bedingungen in Betracht. Die Definition in den Bedingungen lautet: “Die versicherte Person ist nicht fähig, sich niederzuknien oder so weit zu bücken, um einen leichten Gegenstand vom Boden aufzuheben und sich dann wieder aufzurichten.‘
Diese Bedingung ist auszulegen. Der durchschnittliche VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse wird diese Grundfähigkeit bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges (siehe dazu: BGH VersR 2003, 454) so verstehen, dass es um die Tätigkeit geht, einen leichten Gegenstand vom Boden aufzuheben, indem er sich entweder niederkniet oder sich bückt und sich anschließend wieder aufrichtet.
Zwar können sich das Aufheben eines leichten Gegenstandes vom Boden und das Sich-Wieder-Aufrichten sprachlich lediglich auf das Bücken und nicht auch auf das Sich-Niederknien beziehen. Dass dies aber nicht gemeint ist, zeigt folgende Überlegung: Weder der Begriff “Niederknien‘ noch der Begriff “Bücken‘ wären alleine ohne weitere Definition geeignet, eine eindeutige Aktivität zu bezeichnen. Es bliebe ohne eine Zielvorgabe (hier: einen leichten Gegenstand vom Boden aufzuheben) unklar, wie tief niedergekniet oder ob auf einem oder auf beiden Knien gekniet werden muss. Erst durch den Zusatz “um einen Gegenstand vom Boden aufzuheben‘, der sich sprachlich auf beide Handlungsalternativen beziehen kann, werden konkrete Bewegungsabläufe definiert.
Diese Auslegung ist auch für die medizinische Begutachtung entscheidend. Der gerichtliche Sachverständige hat ein Ergebnis formuliert, ohne die körperlichen Möglichkeiten der Kl. konkret zu beschreiben. So ist unklar, ob die Kl. nicht auf ihrem linken Knie bei leichter Beugung des rechten Knies ohne Probleme auf dem Boden knien kann. Der Sachverständige hat sich nur insoweit festgelegt, dass für die Kl. die Einnahme eines Fersensitzes nicht möglich sei. Auch die Ansicht des ...