Dem Straftatbestand des Parteiverrats gem. § 356 StGB kommt in der Praxis des mit dem Verkehrsrecht befassten Rechtsanwalts mit verschiedenen, häufig vorkommenden Konstellationen eine relativ große Bedeutung zu. So liegt ein Parteiverrat vor, wenn der Rechtsanwalt den Fahrer und Unfallverursacher im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren, etwa wegen fahrlässiger Körperverletzung, verteidigt und anschließend dann zivilrechtliche Ansprüche gegen den Verursacher und/oder gegen dessen Haftpflichtversicherung, sei es außergerichtlich oder gerichtlich, geltend macht.
Ein Rechtsanwalt vertritt auch dann widerstreitende Interessen, wenn er mehrere Geschädigte eines Verkehrsunfalls vertritt, von denen einer dem anderen zugleich als Schädiger neben dem in Anspruch genommenen Schädiger gesamtschuldnerisch haften kann.
Kritisch zu beurteilen ist es, wenn bei einem Auffahrunfall der Rechtsanwalt die Schadensersatzansprüche des vorausfahrenden Halters und die Schmerzensgeldansprüche des durch den Unfall verletzten Beifahrers gegen den Auffahrenden geltend macht, denn der Beifahrer hat gegen den Halter gem. §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB einen Schmerzensgeldanspruch aus Gefährdungshaftung, der gem. § 7 Abs. 2 StVG nur bei höherer Gewalt ausgeschlossen ist. Ein Parteiverrat scheidet hier nur aus, wenn die Schuldfrage eindeutig zu Lasten des Auffahrenden geklärt und ein Mitverschulden des Vorausfahrenden in jeder Hinsicht ausgeschlossen ist. Der Lösungsweg, das Mandat des verletzten Beifahrers auf Ansprüche gegen Dritte zu beschränken, ist nur gangbar, wenn dem Beifahrer die Möglichkeit, Ansprüche gegen den Halter/Fahrer geltend zu machen, auch bekannt ist.
Ein Parteiverrat liegt bei der Vertretung des Fahrers des Fahrzeugs und verletzter Fahrzeuginsassen gegenüber einem Unfallgegner auch dann vor, wenn sich im Laufe der rechtlichen Auseinandersetzung plötzlich ein Mitverschulden des Fahrers ergibt und die Mandate trotzdem weiter bearbeitet werden. Die Mandate sind dann allesamt niederzulegen.
Die Vertretung des Fahrers und des verletzten Beifahrers als Nebenkläger ist nicht möglich. Dagegen soll die Verteidigung des Fahrzeughalters wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StVG nicht unzulässig sein, auch wenn gleichzeitig der Fahrer gegen den Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StVG verteidigt wurde. Dies ist jedoch nicht überzeugend, da auch bei dieser Fallkonstellation widerstreitende Interessen vorliegen können. Diese liegen bspw. dann auf der Hand, wenn sich der Fahrzeughalter mit dem Argument verteidigt, der Fahrzeugführer habe sein Fahrzeug ohne sein Wissen benutzt, um so gegen das Vorliegen einer Fahrlässigkeit zu argumentieren.
Kein Parteiverrat liegt vor, wenn der Rechtsanwalt zunächst für einen Unfallbeteiligten erfolglos Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat und danach für das Abschleppunternehmen bei der Geltendmachung der Abschleppkosten gegenüber dem Unfallbeteiligten tätig wird.
Die hier im Mittelpunkt der Ausführungen stehende Frage, ob durch das Übersenden eines Auszugs aus den Verkehrsunfallakten, die nachteilige Sachverhalte enthalten, an die gegnerische Versicherung ein Parteiverrat begangen werden kann, ist bisher höchstrichterlich noch nicht geklärt. Diese Fallkonstellation soll vorliegend anhand des Tatbestands des § 356 StGB geprüft werden.