Problematisch und Gegenstand eingehender Prüfung ist das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit des Dienens. Dies wird angenommen, wenn der Rechtsanwalt einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache, aber im entgegengesetzten Sinne, bereits Rat und Beistand gewährt hat. Entscheidend ist das Beraten und Vertreten im entgegengesetzten Interesse. Einigkeit besteht auch darin, dass die Zustimmung einer Partei zum Tätigwerden des Rechtsanwalts für die Gegenseite die tatbestandliche Pflichtwidrigkeit nicht ausschließt, da die Partei über das Rechtsgut des § 356 StGB nicht disponieren kann.
Entscheidend ist somit der Interessengegensatz der Parteien. Ob ein solcher bei der Übersendung eines Aktenauszugs mit nachteiligen Zeugenaussagen an die gegnerische Versicherung anzunehmen ist, hängt davon ab, wie man den Interessengegensatz definiert. So kann dieser objektiv, d.h. vom Standpunkt der Parteien unabhängig, nach der "wirklichen Rechtslage" bestimmt werden. Danach läge bei der Beschaffung des Aktenauszugs mit nachteiligen Zeugenaussagen der Interessengegensatz auf der Hand. Erfährt die Versicherung hiervon, so wird sie sich darauf berufen und zu ihren Gunsten die Ansprüche des Unfallbeteiligten im Hinblick auf § 254 Abs. 1 BGB kürzen, was naturgemäß nicht in dessen Interesse ist. Definiert man den Interessengegensatz subjektiv, d.h. von dem Interesse und der Zielsetzung der jeweiligen Partei her, dürfte das Ergebnis ein anderes sein. Erteilt der Mandant in der Hoffnung auf eine schnellere Regulierung, auch mit dem Risiko von Abzügen bei der zu erstattenden Schadenssumme, dem Rechtsanwalt nach Rückfrage ausdrücklich die Anweisung, den Aktenauszug der Versicherung zu übersenden, so handelt dieser im (subjektiven) Interesse seines Mandanten und nicht im entgegengesetzten, so dass die Pflichtwidrigkeit des Dienens zu verneinen wäre.
Der Rechtsanwalt steht nunmehr vor der schwierigen Situation, dass die Rechtsprechung zur Bestimmung des entgegengesetzten Interesses uneinheitlich ist. Es wird zwar eine Tendenz zur subjektiven Sicht ausgemacht. Der Hinweis in einer Entscheidung des BGH, die Frage sei im Sinne der subjektiven Sicht entschieden, scheint dies auch zu bestätigen. Auf der anderen Seite ist aber zur Kenntnis zu nehmen, dass es ebenso zahlreiche Entscheidungen gibt, die den rein objektiven Ansatz verfolgen. Dies legt den Befund nahe, dass sich die Rechtsprechung letztlich nicht abschließend festlegen will, sondern ergebnisorientiert am jeweiligen konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in ihm zum Ausdruck kommende tatsächliche oder vermeintliche, allgemein anzunehmende Strafwürdigkeit entscheiden will. Für den im Verkehrsrecht tätigen Anwalt führt dies zu einer rechtlich wenig kalkulierbaren und unsicheren Situation, die noch dadurch verstärkt wird, dass in der Literatur die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Parteiverrats durch Beschaffung eines Aktenauszugs für die gegnerische Versicherung durchaus gesehen und thematisiert wird. Ähnlich wie in der Rechtsprechung ist die Frage der Definition des Interessengegensatzes auch in der Literatur umstritten.
Letztlich überzeugen beide Ansätze jedoch nicht. Das Abstellen auf eine rein subjektive Komponente würde dazu führen, die Auslegung des Straftatbestandes des § 356 StGB in den Verantwortungsbereich der Partei zu legen und auch einen irrigen, unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbaren Standpunkt einfließen zu lassen. Dies lässt sich nicht mit dem Rechtsgut des § 356 StGB – dem Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit, das Ansehen und die Integrität der Anwaltschaft – in Einklang bringen. Letztlich würde man dadurch den Wirkungsbereich der Norm unterlaufen. Teilweise versuchen Vertreter der subjektiven Theorie eine Grenze anhand eines öffentlichen Interesses zu ziehen, indem unvernünftige und illegitime Interessen unberücksichtigt bleiben sollen. Dieser Ansatz dürfte aber bereits daran scheitern, dass diese Kriterien nicht die erforderliche Trennschärfe aufweisen und zu noch größeren Unsicherheiten führen.
Der objektive Ansatz bietet zwar ein stringentes und klar anzuwendendes Entscheidungsmuster, wird aber gerade bei dieser Sachverhaltskonstellation den Bedürfnissen der Rechtspraxis nicht gerecht und lässt unberücksichtigt, dass der Rechtsanwalt zwar auch Organ der Rechtspflege, aber zuerst Interessenvertreter seines Mandanten ist, weshalb dessen Zielsetzungen nicht ohne Relevanz bleiben dürfen.
Die beiden Aspekte würde eine im Vordringen befindliche Auffassung, die eine objektive Beurteilung zur Grundlage macht, aber dennoch daran anschließend eine subjektive Determination zulässt, in die Betrachtung des Interessengegensatzes integrieren. Der Interessengegensatz wird danach durch die durch den Auftrag der Parteien abgegrenzte wirkliche Interessenlage bestimmt, deren Ausgestaltung durch den Willen der Parteien erfolgen kann. Die Zustimmung des Mandant...