BGB § 254 § 823 Abs. 1
Leitsatz
Stößt der Schädiger auf der Flucht vor einem ihn verfolgenden Polizeibeamten einen sich ihm in den Weg stellenden Passanten und verletzt ihn, ist der Flüchtende ersatzpflichtig. Den Geschädigten kann ein Mitverschulden an dem Eintritt des Schadens treffen, wenn für ihn erkennbar war, dass sein Eingreifen wegen des verfolgenden Polizeibeamten nicht zwingend notwendig war und er die Risiken seines Eingreifens wegen fehlender Überlegungsfrist nicht abschätzen konnte.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Frankfurt, Urt. v. 25.4.2017 – 10 U 173/15
Sachverhalt
Der Bekl. wurde von einem Polizeibeamten unter dem Verdacht der Schwarzfahrt in einem Zug vorläufig festgenommen. Nach dem Verlassen des Zuges führte der Polizeibeamte den Bekl. in Richtung der Wachstation der Bundespolizei. Kurz vor der Wachstation riss sich der Bekl. los und rannte auf dem Bahnsteig davon. Als der etwa einen Meter von der Bahnsteigkante entfernt stehende Kl. den auf ihn zu flüchtenden Bekl. sah, stellte er sich ihm in den Weg. Beim Zusammenstoß beider stürzten sie in das Gleisbett, wobei der Kl. erhebliche Verletzungen erlitt.
Die Klage auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, auf Feststellung der Schadenersatzpflicht des Bekl. und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wurde von dem LG abgewiesen.
Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … II. Dem Kl. steht ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB zu. Der Bekl. hat dem Kl. Körperverletzungen zugefügt. Das Verhalten des Bekl. war für die Körperverletzungen ursächlich. Der Bekl. ist, als er dem Polizeibeamten weglief, mit dem Kl. zusammengestoßen. Dadurch verlor der Kl. den Halt und beide stürzten. Die Ursächlichkeit entfällt nicht dadurch, dass der Kl. sich in die Laufrichtung des Bekl. bewegte, um diesen aufzuhalten. Dies beruhte zwar auf einem Willensentschluss des Kl. Das eigene willentliche Verhalten des Geschädigten, das eine Ursache für den Eintritt des Schadens gesetzt hat, ist indes grds. nur unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB) zu berücksichtigen (vgl. OLG Jena NZV 1999, 331, 332; OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1188; MüKo-BGB/Oetker, 7. Aufl., § 249 Rn 169; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2017, § 254 Rn 58). So liegt es beispielsweise bei der Fallgruppe des Handelns auf eigene Gefahr, bei der sich der Geschädigte bewusst einer erkennbar gefährlichen Situation aussetzt (dazu BGH NJW-RR 1995, 857, 858; LM § 823 (Aa) BGB Nr. 160 = NJW-RR 1995, 857; Soergel/Ekkenga/Kuntz, BGB, 13. Aufl., § 254 Rn 68 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 254 Rn 32 ff.). Das Verhalten des Geschädigten ist dem (Mit-)Verursacher nur dann nicht zuzurechnen, wenn es zu einer rechtlich relevanten Unterbrechung des Kausalverlaufs führt (MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn 169). Das kommt jedoch nur in Betracht, sofern das schadensursächliche Verhalten des Geschädigten der Handlung des anderen Teils nachfolgt und die an sich äquivalente und adäquate Erstursache in den Hintergrund treten lässt (siehe dazu etwa BGHZ 193, 297 = NJW 2012, 3165, 3170 = DStR 2012, 1825 = DStRE 2012, 1478 = NZG 2012, 866 = NZI 2012, 853 Rn 48; Soergel/Ekkenga/Kuntz, vor § 249 Rn 160). Vorliegend ging der schadensverursachende Tatbeitrag des Kl. jedoch dem Tatbeitrag des Bekl. voraus oder erfolgte zeitgleich mit diesem (zur Unmaßgeblichkeit der zeitlichen Reihenfolge der Mitwirkungsbeiträge siehe Staudinger/Schiemann, § 254 Rn 37)."
Der Bekl. handelte fahrlässig. Er konnte voraussehen, dass sich andere Personen auf dem Bahnsteig ihm in den Weg stellen würden, um ihn aufzuhalten. Für den Bekl. war abzusehen, dass zumindest ein Teil dieser Personen, wie auch der Kl., in dem Zug mitbekommen hatten, dass er (Bekl.) “schwarz gefahren' und deshalb von dem Polizeibeamten vorläufig fest genommen worden war. Keinesfalls konnte der Bekl. davon ausgehen, dass die anderen Personen auf dem Bahnsteig ihm den Fluchtweg freihalten würden, schon gar nicht aus der Erwägung, bei der Schwarzfahrt handele es sich nur um einen geringfügigen Verstoß. Vielmehr musste der Bekl. ohne Weiteres erkennen, dass jedenfalls ein Teil der übrigen Fahrgäste über ihn als “Schwarzfahrer' verärgert und daran interessiert waren, dass er dafür zur Verantwortung gezogen wird.
Den Kl. trifft jedoch ein erhebliches Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB). Er musste seinerseits damit rechnen, dass der Bekl. nicht mehr auf seine (des Kl.) Bewegung reagieren würde oder reagieren konnte und es deshalb zu einem heftigen Aufprall des Bekl. auf seinen (des Kl.) Körper kommen würde. Dabei konnte der Kl. nicht einmal ausschließen, dass der Aufprall so heftig sein würde, dass er vom Bahnsteig in das Gleisbett gestoßen würde. Das Mitverschulden des Kl. ist jedoch nicht so groß, dass dadurch die Haftung des Bekl. insgesamt entfiele. Dem Kl. kann dabei nicht vorgehalten werden, dass er sich als Privatmann nicht an der Verfolgung des Bekl. hätte beteiligen dürfen. Zwar trifft es zu, dass für die Verfolgung des Delikts die Polizeibehörden, namentlic...