I. Vertragstypische Leistungen des Versicherers (§ 192 VVG)
Nach § 192 Abs. 1 VVG ist der Versicherer verpflichtet, "die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen" zu erstatten.
Als "Krankheit" wird ein anormaler körperlicher oder geistiger Zustand bezeichnet, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt. Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit wird zur Bestimmung des Versicherungsfalls ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt.
II. Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes, § 1 Abs. 2 MB/KK
In § 1 Abs. 2 der Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) heißt es: "Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen."
Da § 1 Abs. 2 MB/KK inhaltlich § 192 Abs. 1 VVG entspricht, definiert die Rechtsprechung auch hier den Krankheitsbegriff als anormalen Körper- oder Geisteszustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 MB/KK ist der Eintritt des Versicherungsfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmen, es kommt nicht auf die subjektive Vorstellung des Versicherungsnehmers an.
III. Rechtsprechung des BGH vom 12.3.2003 ("Alphaklinik")
Das Urteil des BGH im Jahr 2003 zur "Alphaklinik" hat zu einem Paradigmenwechsel und zu einem Aufschrei in der Assekuranz geführt. Im entschiedenen Fall hatte sich der Versicherungsnehmer in der spezialisierten Alphaklinik drei minimalinvasiven Bandscheibenoperationen unterzogen. Die Klinik hatte nach Fallpauschalen abgerechnet, die tagesgleiche Pflegesätze anderer Krankenhäuser um ein Vielfaches überstiegen.
Bis zu dieser Entscheidung wurde in Rechtsprechung und Literatur die herrschende Meinung vertreten, dass die Heilbehandlung zusätzlich unter Kostenaspekten vertretbar sein müsse. Wenn zwei medizinisch gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten bestünden, bestehe eine Leistungspflicht nur für die kostengünstigere. Eine zum gleichen Behandlungserfolg führende, erheblich teurere Heilbehandlung sei Luxus und keine notwendige Heilmaßnahme. In der Entscheidung vom 12.3.2003 hat der BGH ausgeführt, dass der Senat an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhält und bestimmt nun Folgendes: Die Auslegung von Versicherungsbedingungen muss sich an einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Kenntnisse orientieren, der nicht erkennen kann, dass auch finanzielle Aspekte bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung eine Rolle spielen sollen.
IV. Rechtsprechung des BGH vom 29.3.2017 (Lasik-Operation)
Die kürzlich ergangene Entscheidung des BGH ist eine konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit von kostspieligen Behandlungsmethoden.
Der Krankenversicherer hatte sich darauf berufen, dass Fehlsichtigkeit keine Krankheit sei und im Übrigen die vorhandene leichte Kurzsichtigkeit kostengünstiger durch das Tragen einer Brille ausgeglichen werden könne. Auch hier stellt der BGH bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen auf die Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnis ab: Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer werde davon ausgehen, zum Normalzustand der Sehfähigkeit gehöre ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr. Es sei daher von einer bedingungsgemäßen Krankheit auszugehen, wenn eine Beeinträchtigung der körperlichen Normalfunktion vorliege, die ohne Korrektur ein beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht. Die Versicherungsnehmerin müsse deshalb ihre Fehlsichtigkeit nicht durch Sehhilfen kompensieren, vielmehr durfte sie diese durch eine Operation beheben lassen, obgleich diese Operation erheblich kostspieliger war als die Kosten für eine Brille. Von der medizinischen Notwendigkeit sei daher auszugehen, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Darauf, ob die Fehlsichtigkeit durch die Versorgung mit einer Brille oder Kontaktlinsen ausgeglichen werden könne, komme es grundsätzlich nicht an.
Seit der Entscheidung zur Alphaklinik hat es eine Vielzahl von Revisionsverfahren zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Lasik-Operation gegeben. Bislang haben es die Krankenversicherer vermieden, insoweit eine Revisionsentscheidung des BGH herbeizuführen, entweder durch ein entsprechendes Anerkenntnis oder durch eine Revisionsrücknahme ...