VVG § 178 Abs. 2
Leitsatz
Ein VN erleidet auch dann unfreiwillig einen "Unfall", wenn er im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung, auf die er sich eingelassen hat, durch einen Messerstich getötet wird.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Osnabrück, Urt. v. 28.4.2017 – 9 O 2863/16
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Sterbegeldversicherung. Der verstorbene VN Serge I und die Bekl. schlossen 2013 einen Vertrag über eine Sterbegeldversicherung ab, deren Bezugsberechtigte im Todesfall die Kl. ist, und die bei einem Unfall des VN Leistungen versprach.
Am 29.12.2013 verstarb der VN Serge I. Er wurde an diesem Tag durch Herrn B X mit einem Messer angegriffen, tödlich verletzt und erlag den Messerstichen noch am Tatort. Bereits zuvor war es zu Streitigkeiten und einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Herrn X und Herrn I gekommen. Am Tattag stürmte Herr X mit einem Messer in der Hand aus seiner Wohnung und traf erwartungsgemäß auf den draußen wartenden VN. Er schrie ihn mit den Worten an: "Was willst du hier? Hau ab!" und/oder "Lass uns endlich in Ruhe".
Dieser Aufforderung kam der VN nicht nach und es entstand eine körperliche Auseinandersetzung, in deren Verlauf Herr X den Entschluss fasste, den VN mit dem Messer in den Oberkörper zu stechen, was er dann auch tat. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass der VN einen leichten Schlag gegen den Angreifer führte.
Die Bekl. meint, es läge kein Unfall vor, damit sei sie auch nicht leistungsverpflichtet. Da sich der Versicherte nicht entfernt hat, habe er infolge des Messers und der vorangegangenen Geschehnisse mit dem tatsächlich eingetretenen Verlauf rechnen müssen.
2 Aus den Gründen:
" … Der Kl. steht ein Anspruch aus dem geschlossenen Versicherungsvertrag auf Zahlung der begehrten 20.000 EUR zu. Bei den Ereignissen um den Tod des Serge I handelt es sich nämlich um einen tödlichen Unfall i.S.d. Bedingungen (Leistungsbeschreibung Ziff. 2. (2) fünfter Aufzählungspunkt)."
1. Gem. § 178 Abs. 2 VVG i.V.m. Ziff. 2. (2) fünfter Aufzählungspunkt der Leistungsbeschreibung ist ein Unfall gegeben, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Hierbei ist indessen aufgrund des Umstandes, dass es sich um eine (reine) Sterbeversicherung handelt und die (bloße) Gesundheitsschädigung keinen Versicherungsfall darstellt, sondern vielmehr nur der Tod des Versicherten eine Leistung auslöst, auf den Tod und nicht etwa eine Gesundheitsverletzung als versicherten Unfall abzustellen. Eine plötzliche Einwirkung von außen ist vorliegend gegeben.
a) Ein Unfall ist nämlich bereits dann “plötzlich' i.S.d. Bedingungen, wenn das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis bereits objektiv innerhalb eines kurz bemessenen Zeitraums auf den Körper des Versicherten eingewirkt hat. Abzustellen ist hierbei vorliegend auf die Messerstiche und die hierdurch erlittenen (letztlich tödlichen) Stichverletzungen. Das Messer ist unmittelbar in den Körper eingedrungen und hat dabei die zum Tode führenden Verletzungen direkt verursacht.
Hat sich das Geschehen innerhalb eines so kurzen Zeitraums verwirklicht, so geschieht dies nach höchstrichterlicher Rspr. stets plötzlich, ohne dass es auf die Erwartung des Betroffenen und damit eine subjektive Sichtweise überhaupt ankommen würde, vgl. BGH NJW 2014, 778 ff. …
b) Indessen kann unter Umständen hinsichtlich des Begriffes “plötzlich' nicht ausschließlich auf eine objektive Betrachtung abzustellen sein.
Soweit sich nämlich das Geschehen über einen längeren Zeitraum ausdehnt, ist ergänzend oder ausschließlich auf die subjektive Komponente des Begriffs “plötzlich' abzustellen, mithin darauf, ob sich der Eintritt des Versicherungsfalls aus Sicht des VN als unerwartet, überraschend und deshalb unentrinnbar gestaltet hat.
Da aber der Tod unmittelbar durch die Messerstiche noch am Tatort eingetreten ist, kommt es auf eine subjektive Komponente schlechterdings nicht an.
Aber selbst wenn man vorliegend (der Auffassung von Dörner, in: MüKo-VVG, 2. Aufl., § 178, Rn 74 ff. folgend aber entgegen ganz h.M. und Rspr.) auf die subjektive Sicht abstellen wollte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch bei subjektiver Betrachtung gestalteten sich die tödlichen Messerstiche als unerwartet und plötzlich für den VN, den Stichen und deren Auswirkungen auf den Körper war nicht mehr zu entrinnen.
aa) Subjektiv ist das Ereignis nämlich dann plötzlich, wenn die versicherte Person mit der konkreten Einwirkung praktisch nicht rechnen durfte, vgl. BGH VersR 1987, 450 ff. … Hierbei muss das Unfallgeschehen aus der individuellen Sicht der versicherten Person (objektiv) schlechterdings unvermeidbar sein, auf die Sicht Dritter kommt es dagegen nicht an, vgl. OLG Köln VersR 1975, 237 ff. …
Folgerichtig ist das Ereignis aus subjektiver Sicht nur dann nicht“plötzlich', wenn der Betroffene die Art, den Zeitpunkt und schließlich auch die Intensität der Einwirkung mit der damit verbundenen bevorstehenden Gesundheitsschädigu...