StVO § 3; StPO § 267
Leitsatz
Die Annahme, dass die – geringfügige – Überschreitung des zugelassenen Messbereichs bei Geschwindigkeitsmessungen mit PoliScan Speed einen über den allgemeinen Toleranzabzug hinausgehenden Abschlag vom gemessenen Wert rechtfertigt, liegt eher fern und bedarf jedenfalls eingehender, auf den Einzelfall bezogener Begründung.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.8.2017 – 2 Rb 8 Ss 479/17
Sachverhalt
Gegen den Betr. erging ein Bußgeldbescheid wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h mit Bußgeld von 160 EUR und einmonatigem Fahrverbot. Demgegenüber verurteilte das AG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h zu dem Bußgeld von 160 EUR. Auf die Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG Karlsruhe das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
" … II. Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat (vorläufigen) Erfolg. Die Entscheidung ist allein deshalb auf die Sachrüge aufzuheben, weil das angefochtene Urteil entgegen §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO keine für das Rechtsbeschwerdegericht beachtlichen Gründe enthält und die Voraussetzungen des § 77b OWiG für ein Absehen von einer schriftlichen Begründung nicht vorlagen. Die am 9.5.2017 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe sind unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt eine bereits nicht mehr abänderbare Urteilsfassung ohne Gründe vorlag, nachdem das nur aus dem Tenor bestehende Protokollurteil auf Verfügung des Abteilungsrichters v. 18.4.2017 hin der StA Freiburg am 20.4.2017 gem. § 41 StPO zugestellt worden war (vgl. BGHSt 58, 473). Angesichts der fehlenden Gründe ist demzufolge das Rechtsbeschwerdegericht außer Stande, das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung zu unterziehen, weshalb es der Aufhebung unterliegt (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 212; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.5.2016 – 2 (7) SsBs 145/16 – AK 68/16 [ebenfalls das AG Emmendingen betreffend]; OLG Hamm, Beschl. v. 20.3.2014 – III-3 RBs 16/14; OLG Bamberg, Beschl. v. 16.12.2008 – 3 Ss OWi 1060/08; Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 77b Rn 8)."
III. 1. Die Abfassung der nachträglich ergänzten Urteilsgründe gibt trotz ihrer rechtlichen Unbeachtlichkeit Anlass darauf hinzuweisen, dass sie das Absehen von einem Fahrverbot nicht tragen könnten, weil sie in entscheidungserheblicher Weise lückenhaft sind.
Zur Begründung der festgestellten – gegenüber dem Bußgeldbescheid – niedrigeren Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung hat das AG ausgeführt:
“Hinsichtlich der Höhe der vorwerfbaren Geschwindigkeitsverstoßes hat der Betr. geltend gemacht, bei Verwendung des Geschwindigkeitsmessgerätes PoliScan Speed der Firma Vitronic könne es aufgrund des Umstandes, dass das Gerät unter Umständen auch Messpunkte außerhalb des in der Bauartzulassung definierten Messbereiches von 50 m bis 20 m vor dem Messgerät berücksichtige, zu Fehlmessungen kommen. [ … Dadurch kann es] – wie dem Gericht aufgrund eines in einem anderen vergleichbaren Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens des Büros Dr. L., Freiburg, bekannt ist – zu einer Außertoleranzmessung von maximal 1 km/h gegenüber einer Messung ausschließlich innerhalb des in der Bauartzulassung vorgegebenen Bereichs von 50 m bis 20 m zum Messgerät kommen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass PoliScan Speed eine Entfernung systembedingt ohnehin nur auf +/- 0,315 Metern genau messen kann. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei PoliScan Speed eine Messung noch dann gültig ist, wenn sich die Geschwindigkeit des Fahrzeugs innerhalb des Messbereichs um bis zu 10 km/h bzw. um bis zu 10 % nach unten oder nach oben ändert. Für den Fall einer nicht konstanten Geschwindigkeit des gemessenen Fahrzeugs innerhalb des Messbereichs sind nach Ansicht des Sachverständigen Dr. L. zwei Alternativen zu unterscheiden:
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Wenn ein Fahrzeug seine Geschwindigkeit beim Durchfahren des Messbereichs von 50 m bis 20 m um bis zu 10 km/h bzw. um bis zu 10 % verringert und die ersten zur Geschwindigkeitsmesswertbildung herangezogenen Entfernungsmesswerte bereits in einer größeren Entfernung als 50 m zum Messgerät ermittelt wurden, kann das Fahrzeug mit einer um bis zu 1 km/h zu hohen Geschwindigkeit gemessen werden. |
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Wenn ein Fahrzeug seine Geschwindigkeit während des Durchfahrens des Messbereichs von 50 m bis 20 m um bis zu 10 km/h bzw. um bis zu 10 % erhöht und die letzten zur Geschwindigkeitsmesswertbildung herangezogenen Entfernungsmesswerte in einer geringeren Entfernung als 20 m zum Messgerät ermittelt wurden, kann das Fahrzeug ebenfalls mit einer um 1 km/h zu hohen Geschwindigkeit gemessen werden. |
Nach Angaben des Sachverständigen sind größere Abweichungen vom richtigen Geschwindigkeitsmesswert als 1 km/h aufgrund dieses zusätzlichen Fehlers nicht zu erreichen.
Da nach Auskunft des Sachverständigen Dr. L. in einem anderen Verfahren aufgrund des Umstandes, dass a...