Die außerordentlich gründliche und wohl abgewogene Entscheidung nimmt Stellung zu einem in den letzten Monaten in aller Heftigkeit aufgetretenen Problem: Dürfen Zivilgerichte in Fällen einer Prämienanpassung in der Krankenversicherung prüfen, ob der ihr zustimmende Treuhänder (§ 203 Abs. 2 VVG) ein "unabhängiger" Treuhänder war.
Die juristisch auf den Seiten beider Kombattanten auf hohem Niveau geführte Debatte wird von der abgedruckten Entscheidung nahezu umfassend betrachtet. Zwei Aspekte sollen angemerkt werden:
(1) Manche amts- und landgerichtliche Entscheidungen beziehen sich auf die handelsrechtlichen Regelungen zur "Unabhängigkeit" eines Abschlussprüfers (§ 319 Abs. 5 HGB) und meinen, wenn ein von dem VR bestellter Treuhänder ein bestimmtes Einkommen (30 % der Einkünfte der letzten fünf Jahre) durch Aufträge dieses VR generiert habe, fehle ihm die Unabhängigkeit. Wer diesen Wertungstransfer vornimmt, verkennt indessen – völlig unabhängig von der ohnehin bestehenden Unvergleichbarkeit der Aufgaben – die dann ebenso zu beachtenden Rechtsfolgen: Ist ein Abschlussprüfer nach diesen Fairnessregeln nicht "unabhängig", führt das gesellschaftsrechtlich keineswegs zur Verwerfung seiner Leistungen. Vielmehr kann nur gesellschaftsrechtlich ex nunc seine Ersetzung und zukunftswirksam die Validität der Testate in Frage gestellt werden. Daher spricht gerade die Heranziehung gesellschaftsrechtlicher Normen eher gegen als für die instanzgerichtlich angenommene Rechtsfolge der Unwirksamkeit einer Prämienanpassung auf der Grundlage der Zustimmung eines – angeblich nicht "unabhängigen" – Treuhänders.
(2) Verkannt wird, dass es sich um einen Grundrechtskonflikt handelt, der verfassungsgemäßer Auflösung bedarf. Der primäre Eingriff des Gesetzgebers trifft nämlich nicht den VN, der eine Prämienanpassung hinnehmen soll. Er trifft den VR, dem die Auflösung des Krankenversicherungsvertrages durch Kündigung versagt wird. Zum Ausgleich dieses Eingriffs in die Privatautonomie wird dem VR – aus tatsächlich zwingenden Gründen – ein Preisänderungsrecht zugestanden, dessen "Fairness" durch Einschaltung eines "unabhängigen Treuhänders" sichergestellt werden soll.
Ermöglichte man jetzt nicht nur die uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle der inhaltlichen Korrektheit der Prämiengestaltung, sondern völlig unabhängig von ihrer Validität auch noch zusätzlich die gerichtliche – maßstabslose – Kontrolle der Unabhängigkeit des Treuhänders, würde im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen praktischen Konkordanz ein – nicht erforderliches – Übermaß an Rechtsschutz des VN verwirklicht. Vereinfacht gesagt: Dem VN kann und darf es nur darauf ankommen, ob die Prämienanpassung in der Sache gerechtfertigt ist. Eines verfahrensrechtlichen Schutzes bedarf er angesichts der uneingeschränkten inhaltlichen Kontrolle der Entscheidung des VR (und inzident der Zustimmung des Treuhänders) nicht.
Prof. Dr. Roland Rixecker, Universität des Saarlandes
zfs 11/2018, S. 641 - 645