GG Art. 103 Abs. 2; StVO § 23 Abs. 1b S. 2
Leitsatz
1. Die manuelle Abschaltung des Motors entspricht nicht dem "fahrzeugseitigen automatischen Abschalten des Motors" i.S.d. § 23 Abs. 1b S. 2 StVO.
2. Die dadurch entstehende Gesetzeslücke kann nicht durch Auslegung geschlossen werden (Art. 103 Abs. 2 GG).
KG, Beschl. v. 23.8.2018 – 3 Ws (B) 217/18-122 Ss 99/18
1 Aus den Gründen:
"… Der Antrag der Betr. auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG Tiergarten vom 31.5.2018 wird, ohne dass der Beschluss einer Begründung bedürfte (§ 80 Abs. 4 S. 3 OWiG), verworfen."
Lediglich informatorisch teilt der Senat mit, wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin Stellung genommen hat:
Zitat
Es ergibt sich bereits aus dem Gesetz, dass die in § 23 Abs. 1b StVO normierte Ausnahme von dem Benutzungsverbot elektronischer Geräte nach § 23 Abs. 1a StVO ihrerseits gem. § 23 Abs. 1b S. 2 StVO nur dann eine Ausnahme findet, wenn der Motor über die Start-Stopp-Funktion abgeschaltet wird. Die – hier festgestellte – manuelle Abschaltung des Motors begründet eine derartige Ausnahme nicht. Soweit die Situation mit derjenigen vergleichbar ist, die für den Gesetzgeber bei Abschalten des Motors über die Start-Stopp-Funktion besteht (vgl. hierzu BR-Drucks 556/17, S. 28), handelt es sich um eine Lücke im Gesetz, die nicht geschlossen werden kann, weil es sich hierbei um eine nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbarende Ausdehnung des Tatbestandes handeln würde (vgl. auch OLG Bamberg NZV 2007, 49 ff.). Ob sich das AG hieran gehalten hat, ist eine die Zulassung nicht gebietende Frage des Einzelfalls.
Dieser Einschätzung, namentlich auch zur Ausnahme-von-der-Ausnahme-Systematik des § 23 Abs. 1b StVO, folgt der Senat. Die Annahme, das händische sei mit dem automatischen Ausschalten des Motors “vergleichbar' (UA S. 3), verstößt gegen das Analogieverbot. Es ist aber nicht zu besorgen, dass das AG dies in zukünftigen Fällen außer Acht lässt.
Die Betr. hat die Kosten ihrer nach § 80 Abs. 4 S. 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO).“
2 Anmerkung:
Es ist das alte Leid des Bußgeldrechts: Selbst wenn das AG entgegen der nun geäußerten Rechtsansicht des KG den Betr. doch verurteilt hätte, weil es die manuelle Abschaltung der geregelten Variante gleichgestellt haben könnte, gebietet dies nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts, da ja – normalerweise – die einmal geäußerte Ansicht des Rechtsbeschwerdegerichts genügen sollte, um fortan die Tatgerichte auf Linie zu bringen. Das ist aber zum einen für den Betr., der ja dann ganz offensichtlich ein Fehlurteil zu erdulden hat, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die nur Juristen nicht als solche ansehen. Zum anderen zeigt die jüngere Vergangenheit eine gewisse Renitenz der AG, den Obergerichten widerspruchslos zu folgen, gerade wenn es um Akteneinsicht, standardisierte Messverfahren oder andere hoch streitige Aspekte geht. Meiner Ansicht nach dürfte deshalb, gerade wenn wie hier ein Aspekt noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung war, mit der Zulassung gerne einmal großzügiger umgegangen werden.
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 11/2018, S. 649 - 650