StVG § 17 Abs. 1; StVO § 1 Abs. 2 § 2 Abs. 2 § 8 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Bei einer trichterförmig erweiterten T-Einmündung der untergeordneten Straße erstreckt sich der geschützte Vorfahrtsbereich nicht auf den gesamten Einmündungstrichter, sondern nur auf die aus Sicht des Wartepflichtigen linke Fahrbahnhälfte der untergeordneten Straße einschließlich der dortigen trichterförmigen Erweiterung.
2. Der Vorfahrtberechtigte hat beim Abbiegen in die untergeordnete Straße grds. die Mitte der Trichterbreite rechts zu umfahren.
3. Der Wartepflichtige darf bis an die Grenze des Einmündungstrichters (Fluchtlinie der bevorrechtigten Straße) heranfahren, wenn er sich innerhalb der für ihn rechten Fahrbahnhälfte hält.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.3.2018 – 4 U 56/17
Sachverhalt
Klagend und widerklagend machen die Parteien nach einem Verkehrsunfall Schadensersatzansprüche geltend. Der die Kurve mit seinem Fahrzeug schneidende Bekl. kam von rechts; in diese Richtung wollte der Kl. mit seinem Kfz abbiegen. Die die Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen befanden sich nicht an der trichterförmigen Einmündung der Kreuzung der T-Straße mit der K-Straße. Der Fahrer des Fahrzeuges des Kl. Beabsichtigte, an der an dieser Stelle trichterförmig erweiterten T-Straße nach rechts in die K-Straße abzubiegen. Auf der K-Straße näherte sich von rechts das Fahrzeug des Bekl. und bog unter Schneiden der Kurve nach links in die T-Straße ein. Dabei kam es zu einem Zusammenstoß beider Fahrzeuge.
Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen, der Anhörung der Parteien und der Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens die volle Haftung der Bekl. bejaht. Deren Berufung blieb erfolglos.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Das LG hat nach Durchführung der Beweisaufnahme die gesamtschuldnerische Haftung der Bekl. zu 1 gem. § 18 Abs. 1 StVG und der Bekl. zu 2 gem. § 1 PflVG, § 115 VVG für die beim Verkehrsunfall vom 26.3.2015 in S. verursachten Schäden zu 100 v.H. mit Recht bejaht."
a) Die Ersatzpflicht der Bekl. ist vorliegend nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, weil der Unfall offenkundig nicht durch höhere Gewalt verursacht worden ist. Ebenso wenig ist die Verpflichtung zum Ersatz durch § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen, unter denen der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist, sich nicht feststellen lassen. Darüber hinaus ist auch der für den Ausschluss der Ersatzpflicht der Bekl. zu 1 nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG erforderliche Nachweis, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden des Fahrzeugführers verursacht worden ist, nicht geführt. Die gesetzliche Verschuldensvermutung nach § 18 Abs. 1 S. 1 StVG kann insb. widerlegt sein, wenn der Unfall auf einem technischen Fehler (z.B. geplatzter Reifen, Versagen der Bremsen) beruht; es ist dann aber Sache des Fahrers, den Nachweis zu führen, dass er deshalb schuldlos die Kontrolle über das Kfz verloren hat (Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 18 StVG Rn 8). Ein technischer Fehler kommt hier nicht in Betracht. Die Verschuldensvermutung ist ferner widerlegt, wenn der Fahrzeugführer nachweist, dass er sich verkehrsrichtig verhalten hat (OLG Hamm NZV 1998, 463). Auch das ist entsprechend den nachfolgenden Ausführungen nicht der Fall.
b) Da die Kl. als Halterin eines ebenfalls unfallbeteiligten Kfz, der Drittwiderbekl. zu 1 als Fahrer und die Drittwiderbekl. zu 2 als Haftpflichtversicherer ihrerseits grds. gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 1 PflVG, § 115 VVG haften und auch insoweit weder § 7 Abs. 2 StVG noch § 17 Abs. 3 StVG eingreift, hängt gem. § 17 Abs. 1 StVG die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insb. davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (BGH NJW 2007, 506, 507 Rn 18; NJW 2012, 1953, 1954 Rn 5; Senat OLGR 2009, 394, 396; NJW-RR 2017, 350, 351 Rn 37).
c) Das LG ist von diesen anerkannten Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat zutreffend berücksichtigt, dass die Bekl. zu 1 unfallursächlich und schuldhaft gegen § 1 Abs. 2 StVO verstieß, indem sie beim Linksabbiegen von der vorfahrtsberechtigten Straße in die einmündende Straße nicht, wie geboten, die Mitte der Trichterbreite rechts umfuhr, sondern die Kurve schnitt und auf die linke Fahrbahn geriet. Hingegen fällt dem Drittwiderbekl. zu 1 weder ein Verstoß gegen die Wartepflicht (§ 8 Abs. 1 StVO), das Rücksichtnahmegebot (§ 1 Abs. 2 StVO) oder das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO) zur Last. Gegenüber dem grob verkehrswidrigen Ve...