I. BGH v. 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018, 532 ("Ärztliches Attest am Aufenthaltsort")
1. Sachverhalt
Der Kläger, ein Verbraucherschutzverein, verlangt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung einer Klausel in einer Reiseabbruchversicherung. In den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen (im Folgenden: VB-ERV 2014) heißt es auszugsweise:
Zitat
"B Reiseabbruch-Versicherung"
1. Was ist versichert?
Wir entschädigen Sie:
A) Wenn Sie Ihre Reise außerplanmäßig beenden müssen.
B) Wenn Sie Ihre Reise unterbrechen müssen.
C) Wenn sich ein öffentliches Verkehrsmittel während Ihrer Weiter- oder Rückreise verspätet.
D) Wenn Sie Ihren Aufenthalt verlängern müssen.
E) Wenn Sie Ihre Rundreise unterbrechen müssen.
F) Bei Feuer oder Elementarereignissen während Ihrer Reise.
(…)
4. Welche Ereignisse sind versichert?
4.1 Versichert ist die unerwartete schwere Erkrankung. (…)
4.2 Versichert ist die unerwartete Verschlechterung einer Erkrankung (…).
(…)
4.4 Versicherte Ereignisse sind außerdem:
A) Tod.
B) Eine schwere Unfallverletzung.
C) …
D) Schwangerschaft.
E) Bruch von Prothesen.
F) Lockerung von implantierten Gelenken.
(…)
13. Welche Obliegenheiten haben Sie nach Eintritt des Versicherungsfalles?
(…)
13.2 Damit wir Ihren Versicherungsfall bearbeiten können, müssen Sie oder bei Tod Ihr Rechtsnachfolger die folgenden Unterlagen bei uns einreichen:
(…)
B) Bei unerwarteter schwerer Erkrankung; schwerer Unfallverletzung; Schwangerschaft; Bruch von Prothesen; Lockerung von implantierten Gelenken: Ein ärztliches Attest mit Diagnose und Behandlungsdaten eines Arztes am Aufenthaltsort.
(…)
14. Welche Folgen hat die Verletzung von Obliegenheiten?
14.1 Sie verlieren Ihren Versicherungsschutz, wenn Sie die genannten Obliegenheiten vorsätzlich verletzen.
14.2 Bei grober Fahrlässigkeit können wir unsere Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens kürzen. (…)
14.3 Ihr Versicherungsschutz bleibt bestehen, wenn Sie nachweisen, dass die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistung ursächlich war. Dies gilt nicht bei Arglist.“
Mit der Klage fordert der Kläger, die Beklagte unter Androhung von näher bezeichneten Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, die in B Ziff. 13.2 B) VB-ERV 2014 genannte oder eine inhaltsgleiche Versicherungsbedingung gegenüber Verbrauchern zu verwenden oder sich auf diese zu berufen. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.
2. Rechtliche Würdigung
Die Revision hatte keinen Erfolg.
a) Die Klausel B Ziff. 13.2 B) VB-ERV 2014 genügt dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Hiernach ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (Senatsurt. v. 15.2.2017 – IV ZR 91/16, r+s 2017, 259 Rn 15 m.w.N.). Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Insoweit gilt kein anderer Maßstab als derjenige, der auch bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zu beachten ist (Senatsurt. v. 8.5.2013 – IV ZR 174/12, r+s 2013, 334 Rn 9). Diese sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.
Unter Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich die Regelung in B Ziff. 13.2 B) VB-ERV 2014 nicht als intransparent. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich zunächst am Wortlaut der Klausel orientieren. Unter dem Begriff des Aufenthaltsortes wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nach allgemeinem Sprachverständnis den Ort verstehen, an dem er sich tatsächlich, und sei es auch nur vorübergehend, befindet. Hierbei spielt es aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zunächst keine Rolle, ob es sich um einen längeren oder kürzeren Aufenthalt handelt. Zusätzlich wird sich der Versicherungsnehmer an dem für ihn erkennbaren systematischen Zusammenhang der Klausel orientieren. Diese begründet nach der Überschrift von B Ziff. 13 VB-ERV 2014 eine von ihm nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllende Obliegenheit. Versicherte Ereignisse i.S.v. B Ziff. 13.2 B) VB-ERV 2014 sind: unerwartete schwere Erkrankung, schwere Unfallverletzung, Schwangerschaft, Bruch von Prothesen, Lockerung von implantierten Gelenken. Hierbei handelt es sich weitgehend – wenn auch nicht vollständig – um die Wiedergabe der in B Ziff. 4 VB-ERV 2014 aufgeführten versicherten Ereignisse. Sodann wird der Versicherungsnehmer die Klausel B Ziff. 1 VB-ERV 2014 in den Blick nehmen, in der geregelt wird, was im Einzelnen versichert ist. Entsprechend der Überschrift "Reiseabbruch-Versicherung" werden hier die entschädigungspflichtigen Ere...