GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 70 Abs. 1 72 Abs. 1 74 Abs. 1 Nr. 1 und 22; NPolG § 32 Abs. 6; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 § 133 Abs. 3 S. 3
Leitsatz
Zur Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer abschnittsbezogenen Geschwindigkeitskontrolle (hier: § 32 Abs. 6 NPOG).
BVerwG, Beschl. v. 31.7.2020 – BVerwG 3 B 4.20
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich mit einer Unterlassungsklage gegen die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle ("Abschnittskontrolle"), die der Bekl. auf einem Streckenabschnitt von rund 2,2 km auf der Bundesstraße 6 (B 6) zwischen den Anschlussstellen Gleidingen und Rethen eingerichtet hat. Bei dieser sogenannten "Section Control" wird die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einem gut zwei Kilometer langen Abschnitt ermittelt. Dazu werden kurzfristig die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Autos unabhängig von ihrem Tempo erfasst und kurzfristig gespeichert.
Auf den Eilantrag des Kl. hat das VG Hannover dem Bekl. mit Beschl. v. 12.3.2019 – 7 B 850/19 – vorläufig untersagt, mit der Abschnittskontrolle Kennzeichen der vom Kl. geführten Fahrzeuge zu erfassen. Für den damit verbundenen Eingriff in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung fehle die nach der Rspr. des BVerfG erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Parallel zu seinem Beschl. hat das VG Hannover mit Urt. v. 12.3.2019 – 7 A 849/19 (SVR 2019, 193 mit Praxishinweis Koehl) der Unterlassungsklage des Kl. mit derselben Begründung wie im Eilverfahren stattgegeben.
Am 24.5.2019 ist § 32 Abs. 7 des Nds. Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes – NPOG (Nds. GVBl. S. 88) in Kraft getreten (im Folgenden: § 32 Abs. 7 NPOG a.F.). Diese Regelung, die durch das Gesetz zur Änderung des NPOG v. 17.12.2019 (Nds. GVBl. S. 428) mit Wirkung zum 28.12.2019 zu § 32 Abs. 6 NPOG wurde, bestimmt in ihrem S. 1, dass die Verwaltungsbehörden und die Polizei im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe des S. 2 Bildaufzeichnungen offen anfertigen und damit auf einer festgelegten Wegstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Kfz ermitteln dürfen. Nach S. 2 dürfen die Bildaufzeichnungen nur das Kfz-Kennzeichen, das Kfz und seine Fahrtrichtung sowie Ort und Zeit erfassen; es ist technisch sicherzustellen, dass Insassen nicht zu sehen sind oder sichtbar gemacht werden können. Nach S. 3 sind bei Kraftfahrzeugen, bei denen nach Feststellung der Durchschnittsgeschwindigkeit keine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorliegt, die nach S. 2 erhobenen Daten sofort automatisch zu löschen. Die Abschnittskontrolle ist kenntlich zu machen (S. 4).
Daraufhin hat der Bekl. am 29.5.2019 beim NdsOVG beantragt, seinen Beschl. v. 10.5.2019 zu ändern. § 32 Abs. 7 NPOG a.F. enthalte nunmehr die vom VG für erforderlich gehaltene gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Abschnittskontrolle. Das OVG hat dem Änderungsbegehren mit Beschl. v. 3.7.2019 – 12 MC 93/19 (NJW 2019, 2951) entsprochen und den Antrag des Kl. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Mit Urt. v. 13.11.2019 hat das NdsOVG das Urt. des VG Hannover vom 12.3.2019 geändert und die Klage abgewiesen (NdsOVG, Urt. v.13.11.2019 – 12 LC 79/19, NZV 2020, 145). Der Kl. habe zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats keinen Anspruch gegen den Bekl. die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle auf der B 6 zu unterlassen. Selbst wenn man in der Abschnittskontrolle einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht des Kl. auf informationelle Selbstbestimmung sehe, sei dieser Eingriff nicht rechtswidrig. Mit § 32 Abs. 7 NPOG in der Fassung des Gesetzes v. 20.5.2019 (Nds. GVBl. S. 88) liege jetzt eine gesetzliche Eingriffsermächtigung vor.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kl. gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil.
2 Aus den Gründen:
"…"
[10] 2. Die Rechtssache hat nicht die von ihm geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
[11] Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Regelung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das ist in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 S. 3 VwGO genügenden Weise darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rspr. oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. u.a. BVerwG, Beschl. v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26).
[12] a) Der Kl. misst der Rechtssache zum einen deshalb grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bei, weil – wie das BG selbst ausführe – die Zuordnung der Abschnittskontrolle als neuartiger Form der Geschwindigkeit...