"… 1. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um einen sich aus den gesetzlichen Vorschriften ergebenden Schadensersatzanspruch, sondern um einen vertraglichen Anspruch des VN gegen seine Kaskoversicherung, für den die vertraglichen Regelungen maßgebend sind. Im Gegensatz zum Schadensersatzrecht des BGB ist die Kaskoversicherung ihrer Natur nach typischerweise nicht auf vollen Ersatz des Vermögensschadens gerichtet. So sind bei einem reinen Sachschaden Einschränkungen durch die Selbstbeteiligung des VN ebenso wie ein Ausschluss des Ersatzes von Wertminderungen üblich. Die Regelungen zu den Kaskoleistungen stehen unter dem Postulat, dass der Versicherungsnehmer seinen tatsächlichen Schaden ersetzt bekommen, sich aber nicht bereichern soll, die Leistung ist also auf den wirklich entstandenen Schaden begrenzt (Stiefel/Maier/Meinecke, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl., A.2 AKB Rn 409f). Auch in der Kaskoversicherung kann konkret oder fiktiv abgerechnet werden (vgl. BGH zfs 2006, 575)."
Maßgeblich für die Berechnung der Höhe der Kaskoentschädigung ist allein das vertragliche Leistungsversprechen des VR, die gesetzlichen Vorschriften zum Schadensersatz finden keine Anwendung (BGH zfs 2016, 29). Für die Auslegung gelten die allgemeinen Maßstäbe. AVB sind nach st. Rspr. des BGH so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind (…).
2. Gem. A.2.6.6 der anwendbaren AKB ist Restwert der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand. Die Höhe des Restwerts, d.h. des vom VN erzielbaren Erlöses beim Verkauf des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs, hat der VR als eine ihm günstige Tatsache darzulegen und zu beweisen.
Ob die Höhe des Restwerts sich nach der Verkaufsmöglichkeit an dem Ort richtet, an welchem sich das beschädigte Fahrzeug befindet oder ob auch überörtliche Restwertangebote mit zu berücksichtigen sind, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Für das vorliegende Verfahren kann diese Frage jedoch auch offenbleiben, weil die Bekl. dem Kl. nicht ein überörtliches Restwertangebot, sondern nur ein internationales, nämlich das eines litauischen Aufkäufers zugeleitet hat.
Ein nur im Ausland erzielbarer Veräußerungserlös ist unter Berücksichtigung des Verständnisses eines durchschnittlichen VN jedoch nicht unter dem Veräußerungswert i.S.d. A 2.6.6 AKB zu verstehen. Gemeint ist nach diesem maßgeblichen Verständnis mit diesem Begriff vielmehr derjenige Betrag, den der VN selbst – bei gehöriger Anstrengung – erzielen kann. Ob diese Anstrengung, wie das AG ausgeführt hat, wegen der Möglichkeiten der Internetrecherche aktuell einen größeren Radius als in der Entscheidung des BGH v. 6.3.2007 – VI ZR 120/06 (ergangen zu einem Schadensersatzanspruch) erfassen muss oder nicht, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls ist das BG, anders als das AG, nicht der Meinung, dass dieser Radius auch Länder umfassen müsste, die geographisch weit entfernt sind und in denen nicht Deutsch gesprochen wird. Der litauische Restwertmarkt ist einem durchschnittlichen Kaskoversicherungsnehmer gar nicht zugänglich, und dieser hat deshalb weder die Möglichkeit, ein ihm unter Bezug auf einen Anbieter aus Litauen vorgelegtes Restwertangebot auf seine Seriosität hin zu überprüfen noch diejenige, zu einem Zeitpunkt, an welchem er sein Fahrzeug nicht mehr nutzen will, es selbst nach Litauen zu verkaufen. …“
zfs 11/2020, S. 633 - 634