BGB § 249 Abs 2 § 254 Abs. 2
Leitsatz
Bei der fiktiven Schadensberechnung ist für die Bemessung des Schadenersatzanspruchs materiell rechtlich der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung, verfahrensrechtlich regelmäßig der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich. Vorher eintretende Preissteigerungen für die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt, auf die der Schädiger den Geschädigten gem. § 254 Abs. 2 BGB verweisen darf, gehen daher in der Regel zulasten des Schädigers.
BGH, Urt. v. 18.2.2020 – VI ZR 115/19
Sachverhalt
Die Kl. nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung, die unstreitig in voller Höhe haftet, auf den Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die Kl. macht auf der Grundlage eines von ihr eingeholten Gutachtens fiktive Reparaturkosten von 5.080,10 EUR geltend, auf die die Bekl. 3.599,91 EUR zahlte.
Kosten für die Lackierung des Dachraums und für die Beilackierung der Tür, für die Sichtprüfung, Verbringungskosten und UPE-Aufschläge beglich sie nicht. Weiterhin verwies die Bekl. auf die niedrigeren Stundenverrechnungssätze einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt. Mit der Klage hat die Kl. den rechnerisch noch offenstehenden Betrag geltend gemacht. Lackierungs- und Beilackierungskosten sind vom AG zugesprochen worden. Das LG hat die UPE-Aufschläge zuerkannt. Die zugelassene Revision der Kl. wendet sich gegen die Verweisung auf die niedrigeren Stundenverrechnungssätze einer freien Fachwerkstatt und meint, bei der Schadensabrechnung müssten gegenüber dem Zeitpunkt der Gutachtenerstattung zwischenzeitliche Preiserhöhungen berücksichtigt werden.
Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückweisung an das LG, dem aufgegeben wurde festzustellen, inwieweit die freie Werkstatt die Preise für die erforderliche Reparatur erhöht hatte.
2 Aus den Gründen:
"…"
[7] II. (…) Vorliegend ist für die Bemessung des Ersatzanspruchs der Kl. nicht der Zeitpunkt des Unfalls (oder der Verweisung auf die Werkstatt B) maßgeblich, sondern der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung.
[8] 1. Allerdings ist auf der Grundlage der für den Senat bindenden Feststellungen des BG dessen Beurteilung, dass die Bekl. die Kl. auf die günstigere Reparaturmöglichkeit in der Werkstatt B verweisen durfte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach ständiger Senatsrechtsprechung muss sich der Geschädigte bei fiktiver Schadensabrechnung gem. § 254 Abs. 2 BGB vom Schädiger auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn der Schädiger darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden (vgl. nur Senat NJW 2019, 852 Rn 6 m.w.N.). Die Würdigung des BG, dass nach diesen Grundsätzen die Voraussetzungen für eine Verweisung der Kl. an die Werkstatt B an sich erfüllt waren, greift die Revision nicht an. Sie wendet sich vielmehr gegen die Annahme des BG, dass die zwischenzeitliche Preiserhöhung in der Verweisungswerkstatt nicht zu berücksichtigen sei.
[9] Soweit die Kl. in diesem Zusammenhang weiterhin geltend macht, die Preise seien schon im Zeitpunkt der Verweisung im Januar 2017 erhöht gewesen – woraus die Kl. vor den Instanzgerichten abgeleitet hat, dass die Verweisung als solche bereits unwirksam sei, steht dem schon die den Senat bindende Feststellung des BG entgegen, dass die Preiserhöhung in der Werkstart B erst später erfolgte und die im Unfallzeitpunkt geltenden Tarife den Tarifen zum Verweisungszeitpunkt entsprachen. Bezug genommen hat das BG zudem auf die Feststellungen des AG und damit auch darauf, dass die Stundenverrechnungssatze der Werkstatt B im Dezember 2016 und in den nachfolgenden drei Monaten dieselben waren. Mit diesen Feststellungen setzt sich die Revisionsbegründung nicht auseinander, insbesondere erhebt sie diesbezüglich keinen zulässigen und begründeten Revisionsangriff. Sie beschränkt sich insoweit lediglich darauf, einen anderen Sachverhalt zu behaupten. Die Feststellung des BG, dass die Preiserhöhung erst nach Zahlung und Verweisung durch die Bekl. eintrat, ist daher gem. § 559 Abs. 2 ZPO für den Senat bindend.
[10] 2. Revisionsrechtlich zu beanstanden ist allerdings die Beurteilung des BG, dass die zwischenzeitlich erfolgte Erhöhung der Preise in der Verweisungswerkstatt in die Schadensbemessung nicht einzubeziehen sei.
[11] a) Wie im Ausgangspunkt vom BG zutreffend gesehen, ist der materiell-rechtlich maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzspruchs in Geld – im Rahmen der Grenzen des Verjährungsrechts – der Zeitpunks in dem dem Geschädigten das volle wirtschaftliche Äquivalent für das beschädigte Recht zufließt (Senat BGHZ 169, 263 = NJW 2007, 67 Rn 16), also der Zeitpunkt der vollständigen Erfül...