aa) Bereicherungsverbot
Der BGH betont einleitend zutreffend, Sinn und Zweck von Zessionen (wie § 116 SGB X) sei, Drittleistungsträgern, durch deren Leistungen der Geschädigte schadensfrei gestellt wird, den Rückgriff zu ermöglichen, und den Schädiger durch die Versicherungsleistungen nicht unverdient zu entlasten. Zessionen vermeiden dabei die doppelte Entschädigung des Geschädigten.
Schon 1969 betonte der BGH das schadensrechtliche Bereicherungsverbot. Die Rechtsprechung hebt permanent den allgemeinen schadensrechtlichen Grundsatz hervor, dass der Geschädigte zwar vollen Schadenersatz verlangen kann, aber darüber hinaus am Schadensfall nicht verdienen darf. Auch wenn der BGH zwischenzeitlich dies ausdrücklich auch zum Personenschadenrecht äußert, machte für den Personenschadenersatz die BGH-Entscheidung v. 17.10.2017 demgegenüber gleichwohl das Tor weit offen: Für sozialversicherte Unfallopfer (aber nur für diese!) lohnt es sich finanziell, wenn Familienangehörige i.S.v. § 116 VI SGB X ihren Personenschaden herbeiführen. Auch der Täter verdient mittelbar am Schaden. Das Opfer erhält neben dem Schadenersatz zusätzlich die Leistungen der Sozialversicherung; das Familieneinkommen erhöht sich entsprechend. Familienrechtliche Unterhaltspflichten des Täters können sich angesichts des Vermögensgewinnes des Opfers verringern.
Wenn die Rechtsprechung – auf Grundlage der vorliegenden Entscheidung konsequent – auch Sachleistungen (wie Umschulung, ambulante und stationäre Behandlung, Medikamente) mit ihrem ermittelbaren Geldwert dem Opfer zuspräche, geriete das Personenschadensystem völlig aus den Fugen.
bb) Gesetzgeberische Intention
Dass seitens der Gesetzgebung einerseits eine Bereicherung nur der sozialversicherten Bevölkerungsanteile gewollt war, andererseits aber u.a. Privatversicherte und Beamte (hier gilt § 86 VVG analog) von solcher Segnung bei einem Haftpflichtgeschehen ausgeschlossen werden, lässt sich auch nicht ansatzweise der Gesetzgebungshistorie entnehmen (§ 116 VI SGB X normierte ausdrücklich lediglich die vorangegangene Rechtsprechung ohne ergänzende eigenständige Ideen). Ein solches gesetzgeberisches Unterfangen wäre willkürlich und sachlich nicht zu rechtfertigen und würde Art. 3 GG nicht standhalten (die verfassungsrechtliche Frage hat der BGH offengelassen). Es fehlt die Antwort, warum der Gesetzgeber 1983 mit § 116 SGB X – als die Bereicherungsproblematik unbekannt war – nur den Sozialversicherten zu einer Bereicherung am Schadenfall verholfen haben sollte, während derselbe Gesetzgeber – als er sich dem Bereicherungsproblem positiv zu stellen hatte – diese Bereicherung 2008 in § 86 VVG ausdrücklich verweigerte.
Der Hinweis auf gesetzgeberische Untätigkeit reicht als Begründung nicht, bloße Untätigkeit lässt keine entsprechenden Schlüsse zu. Wenn der Gesetzgeber nicht zu rechtfertigende Bereicherungen erkannte und gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestand, wurde er tätig. Nicht zuletzt die Novellierung des § 116 SGB X durch das 7. SGB IV-ÄndG zeigt den gesetzgeberischen Willen zur Bereicherungsvermeidung. Positives ("beredtes") Schweigen des Gesetzgebers mit dem Ziel, bestimmte Personengruppen nach einem Haftpflichtgeschehen zu bereichern, zu vermuten, bedarf näherer Darlegung; dieses lässt die Entscheidung vermissen.
Die Auffassung des BGH, es könne nur der Gesetzgeber tätig werden und der Rechtsprechung seien Korrekturen verwehrt, steht im Gegensatz zu seiner jahrzehntelangen Rechtsprechung, die ein einheitlich aufzufassendes Privileg nur durch Rechtsprechung statuierte, ausgestaltete und selbst für Rechtsgebiete, in denen der Gesetzgeber noch nicht einmal ansatzweise aktiv war, zur Anwendung gelangen ließ. Das Angehörigenprivileg war (worauf Lemcke ausführlich hinweist) außerhalb von § 67 VVG a.F. immer schon Richterrecht ohne Einflussnahme des Gesetzgebers. Aufgabe der Rechtsprechung ist durchaus, Gerechtigkeitslücken im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips so weit wie möglich zu schließen; dazu ist ein rechtliches Instrumentarium entwickelt worden (wie Vorteilsausgleich, normativer Schaden). Ungerechtigkeiten aber gerade erst zum Entstehen zu bringen, ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung und muss sich neben Art. 3 GG – und im Falle des Angehörigenprivilegs zusätzlich Art. 6 GG – auch am Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs. 3 GG) messen lassen.