I. Einleitung
1. Unterschiedliche Rechtswelten
Personenschadenregulierung erfährt eine sehr starke Prägung durch das Drittleistungsrecht. Gerade Sozialrecht und Zivilrecht sind zwei die Personenschadenabwicklung entscheidend bestimmenden Rechtsgebiete, die allerdings – obwohl dies notwendig wäre – nicht aufeinander abgestimmt sind und werden. Zivilrecht und Sozialrecht gehorchen unterschiedlichen Systematiken; manchmal sind sie selbst im eigenen System nicht abgeglichen. Für die grenzüberschreitende Verbindung ist das Zessionsrecht zuständig, das aber angesichts der divergierenden rechtlichen Rahmenbedingungen an mehr als nur einer Stelle nicht selten nur schwer lösbare Konflikte schafft, denen sich Rechtsprechung und Gesetzgebung dann nicht immer gewachsen zeigen; auch Kommentatoren und Richter bewegen sich häufig nicht in beiden Welten.
Der Gesetzgeber hat bei (häufig politisch motivierten) Änderungen des Drittleistungsrechts regelmäßig nur den Leistungssektor im Fokus. Nachlässigkeiten im Zessionsrecht führen zu Unstimmigkeiten im System, die – wenn überhaupt – erst zu späteren Zeitpunkten dann einem (mehr oder weniger tauglichen) Reparaturversuch unterworfen werden.
Auch der BGH stellte mehrfach heraus, dass Drittleistungsrecht einerseits und Zivilrecht andererseits voneinander streng zu unterscheiden sind und die Handhabung und Leistungsverpflichtung im Drittleistungsrecht durchaus nicht zwangsläufig eine Entsprechung im Zivilrecht (Schadenrecht) finden muss.
2. Rechtsänderungen, ältere Rechtsprechung
Das Drittleistungsrecht (allen voran das Sozialrecht) unterliegt häufigen Veränderungen. Nicht immer registriert der Zivilrechtler, dass sich die sozialrechtlichen Umstände, die einer früheren zivilgerichtlichen Entscheidung zugrunde lagen, zwischenzeitlich verändert haben mit der Folge, dass die diese Rechtsprechung zitierende Literatur und Rechtsprechung nicht mehr haltbar ist im Lichte des veränderten aktuellen Drittleistungsrechtes.
Recht und Rechtsprechung im Drittleistungsrecht ändern sich, ohne dass dieser Situation die Verarbeitung in Literatur und Rechtsprechung mit derselben Geschwindigkeit folgt und auch folgen kann. Gerade im Sozialleistungsrecht ist es schwer, Kommentierungen tagesaktuell zu halten. Der Sozialrechtler kennt auch nicht immer die zivilrechtlichen Belange; umgekehrt gilt Ähnliches. Wird auf ältere Rechtsprechung Bezug genommen, muss daher regelmäßig kontrolliert werden, ob die der früheren Entscheidung damals zugrundeliegenden rechtlichen Rahmenbedingungen weiterhin noch Gültigkeit haben. Nicht zum ersten Mal hat sich der bestimmende Umstand für eine Gerichtsentscheidung durch gesetzgeberische Maßnahmen grundlegend geändert, sodass Urteilsaussagen keine Gültigkeit mehr haben (siehe unten II.2). Es gilt daher: Je älter eine Gerichtsentscheidung, desto eher ist die Überprüfung des rechtlichen Umfeldes angesagt, bevor man hierauf eine neue Entscheidung aufbaut.
3. Komplexität und Erfahrungswissen
Personenschadenregulierung erfolgt im Wesentlichen außergerichtlich: Nur rd. 6 % der Personenschäden im Kfz-Bereich gelangen vor Gericht; prägend sind dabei Schmerzensgeldbegehren aufgrund vorgetragener, aber streitiger, psychischer Beeinträchtigungen (wie HWS, PTBS). Schwerere Verletzungen, die dann in Korrespondenz und Konflikt mit Drittleistungen stehen, sind selten Prozessgegenstand; daraus resultiert naturgemäß eine praktische Unerfahrenheit in Fragen des Sozial- und Zessionsrechtes des zur Entscheidung berufenen Gerichtes, aber auch des nicht spezialisierten Anwaltes.
Bei der Personenschadenregulierung treffen sich unterschiedliche Rechtsgebiete mit nicht aufeinander abgestimmten bzw. abstimmbaren Systemen. Wer nur Teile davon wahrnimmt, muss damit rechnen, dass seine, ggf. auch richterliche, Entscheidung an Stellen Probleme und Konsequenzen aufwirft, an die man vorher nicht gedacht hatte.
II. Rechtsprechung des BGH
1. BGH, Urt. v. 17.10.2017 – VI ZR 423/16 (Vorrang der sozialrechtlichen Klärung)
Der BGH postuliert zu Recht in seiner jüngeren Rechtsprechung, dass sozialversicherungsrechtliche Vorfragen – gerade auch mit Blick auf die jeweils erforderlichen speziellen Kenntnisse – nicht von der Zivilgerichtsbarkeit, sondern allein und vorrangig im sozialgerichtlichen Verfahren (siehe § 118 SGB X) zu entscheiden sind.
Zivilverfahren sind daher bis zur Klärung einer sozialrechtlichen Vorfrage zwingend auszusetzen (§ 148 ZPO).