BGB § 307 Abs. 1 Satz 2
Leitsatz
Eine sogenannte Polizeiklausel in den AGB eines Kfz-Vermieters, wonach ,,[d]er Mieter […] jeden Diebstahl oder Verlust (oder gegebenenfalls jeden Unfall) sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten [hat],“ ist nicht klar und verständlich; aus ihr ergibt sich eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
LG Frankfurt, Urt. v. 4.9.2021 – 2-13 0 333/20
Sachverhalt
Die Parteien streiten über vermeintliche Schadensersatzansprüche aus einem Mietvertrag über ein Kraftfahrzeug.
Die Kl. betreibt eine gewerbliche Autovermietung. Sie vermietete an den Bekl. das in ihrem Eigentum stehende Kraftfahrzeug nach dem Leitbild einer Kaskoversicherung. In den AGB der Kl. heißt es unter § 4 mit dem Titel "Wesentliche Pflichten des Mieters" unter b) (ii):
"Der Mieter hat jeden Diebstahl oder Verlust (oder gegebenenfalls jeden Unfall) sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten."
Der Bekl. verursachte mit dem gemieteten Fahrzeug einen Unfall, den er aber nicht sofort der Polizei anzeigte. Durch den Unfall entstand der Kl. ein Schaden von 6.560,51 EUR.
2 Aus den Gründen:
Zwar steht der Kl. gegen den Bekl. dem Grunde nach wegen der Verletzung seiner Obhutspflicht ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu (vgl. BGH NJW 2018, 1746).
Der Höhe nach ist dieser jedoch auf die bereits geleisteten 950,00 EUR begrenzt. Die Haftungsreduzierung ist nicht gemäß § 7a) (ii) wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung aus § 4b) (ii) in Wegfall geraten. Die Frage offen lassend, ob letztgenannte Klausel wegen ihrer Mehrdeutigkeit vielleicht nach § 305c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB schon nicht als vereinbart gilt, ist sie jedenfalls nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, wobei sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben kann, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Letzteres ist hier der Fall.
1. Der Kl. ist noch zuzustimmen, dass eine sogenannte Polizeiklausel grundsätzlich keinen Bedenken begegnet. In den von Klägerseite zitierten Gerichtsentscheidungen handelte es sich jedoch um eindeutige Formulierungen (so etwa BGH NJW-RR 2010, 480; NZV 2009, 593; OLG Saarbrücken Beck RS 2016, 09658).
2.Die hier in Klammern gesetzte Formulierung "gegebenenfalls jeden Unfall" ist demgegenüber nicht klar und verständlich (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).
a) Bereits die Formulierung "gegebenenfalls" legt dem typischerweise angesprochenen Kunden nahe, dass die Verpflichtung nur eingeschränkt gilt.
b) Dies wird verstärkt durch den Umstand, dass der der Zusatz "oder gegebenenfalls jeden Unfall" in Klammern gesetzt ist, wohingegen die anderen beiden Ereignisse Diebstahl oder Verlust ohne Klammer und ohne einschränkenden Zusatz genannt werden.
c) Der Eindruck des typischerweise angesprochenen Kunden, dass es hier ein Stufenverhältnis zwischen Diebstahl und Verlust einerseits und Unfall andererseits gibt und dass eine Verpflichtung im Falle eines Unfalls nicht uneingeschränkt gilt, wird auch dadurch erzeugt, dass es im selben Paragrafen nur einen Abschnitt darüber unter (i) heißt: "Der Mieter hat dem Vermieter den Unfall, Diebstahl oder Verlust unverzüglich – gleich auf welche Weise – anzuzeigen." So dort die Ereignisse gleichberechtigt nebeneinander genannt werden, vermutet der typischerweise angesprochene Kunde einen Unterschied zur Regelung unter (ii). Denn sonst hätte es unter (ii) ebenso zwanglos heißen können:
"Der Mieter hat jeden Diebstahl, Verlust oder Unfall sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten."
d) Dass es abgestufte Verpflichtungen bei den Ereignissen Diebstahl und Verlust einerseits und Unfall andererseits geben mag, beim Unfall die Verpflichtung nicht immer, sondern eben nur in einigen Fällen (= gegebenenfalls) besteht, ist auch keinesfalls so fernliegend, als dass der typischerweise angesprochene Kunde eine Anzeigeverpflichtung trotz der einschränkenden Formulierung in jedem Falle annehmen müsste.
Denn während beim Diebstahl eine Straftat vorliegt und auch der Verlust eines Fahrzeugs fast immer auf eine Straftat zurückzuführen ist, also die Hinzuziehung der Polizei die ganz typische, natürliche Erstreaktion ist, verhält es sich bei einem Unfall anders. So gibt es Unfallsituationen, in denen die Hinzuziehung der Polizei nötig ist oder naheliegt. Hingegen bei kleineren Unfällen ohne Personenschaden, bei denen auch keine Verkehrsstraftat (§§ 142, 315b ff. StGB o.ä.) im Raum steht und bei denen – wie wohl hier – kein anderer Verkehrsteilnehmer beteiligt ist, ist es untypisch, den Unfall der Polizei anzuzeigen.
Wollte die Kl. als Verwenderin der AGB, dass der andere Teil ausnahmslos jeden Unfall anzeigt, so hätte sie dies auch uneingeschränkt, eben klar und verst...