StVO § 23 Abs. 1a
Leitsatz
Verfolgt die beantragte Beweiserhebung das Ziel, die allein auf dem Messbild beruhende Einschätzung des Gerichts zu Art und Nutzungsweise eines elektronischen Geräts zu entkräften, darf ihr unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht in der Regel ein Aufklärungswert nicht abgesprochen werden, so dass eine Ablehnung der Erweiterung der Beweisaufnahme verfahrensfehlerhaft ist und eine Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellt.
(Leitsatz der Redaktion)
OLG Brandenburg, Beschl. v. 6.12.2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 516/21
Sachverhalt
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen verbotswidrigen Benutzens eines elektronischen Gerätes in Tateinheit mit fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld von 140 EUR verhängt. Das Tatgericht hat hierzu auf ein in den Urteilsgründen in Bezug genommenes Fahrerfoto verwiesen und hierzu u.a. Folgendes ausgeführt: "Bei lebensnaher Betrachtungsweise ist davon auszugehen, dass der Betroffene auf dem Fahrerfoto ein Mobiltelefon in der Hand hält und damit telefoniert. Dafür spricht, dass der Gegenstand wie ein Mobiltelefon aussieht und wie ein Mobiltelefon in der Hand an den Mund gehalten wird." Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem er u.a. beanstandet, dass das Amtsgericht willkürlich und unter Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs den Antrag auf Inaugenscheinnahme des auf dem Beweisfoto vom Betroffenen in der Hand gehaltenen "E-Zigarettengerätes" abgelehnt habe. Das OLG Brandenburg hat die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts zugelassen, das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Der gemäß § 79 Abs. 1 S. 2, § 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen entsprechend § 80 Abs. 3 OWiG, § 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO zulässige Antrag hat mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs Erfolg.
Die die Übermittlung von Rohmessdaten betreffende Beanstandung versagt allerdings, weil sich dem Antragsvorbringen nicht hinreichend deutlich entnehmen lässt, inwiefern der in einem anderen Bußgeldverfahren gestellte Antrag in der vorliegenden Sache konkret von Bedeutung sein soll (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG). Demgegenüber hat die Rüge Erfolg, die die Ablehnung einer Inaugenscheinnahme des vom Betroffenen in der Hand gehaltenen Geräts betrifft und die den geltenden Begründungsanforderungen genügt.
Die Ablehnung einer Erweiterung der Beweisaufnahme hinsichtlich des vom Betroffenen in der Hand gehaltenen Gerätes erweist sich als verfahrensfehlerhaft und stellt darüber hinaus angesichts der gegebenen Begründung eine Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Das Amtsgericht hat hierzu allein auf das in Bezug genommene Messfoto und das darauf erkennbare Aussehen und die Handhabung des vom Betroffenen gehaltenen Gerätes verwiesen und die Ablehnung weiterer Sachaufklärung durch Inaugenscheinnahme auf eine "lebensnaher Betrachtungsweise" und darauf gestützt, dass es nicht darauf ankomme, ob der Betroffene ein E-Zigarettengerät besitze, sondern darauf, "ob er dieses oder ein Mobiltelefon zur Tatzeit genutzt" habe. Damit hat das Tatgericht eine Erweiterung der Beweisaufnahme ermessensfehlerhaft und darüber hinaus ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung abgelehnt (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG), was eine Verletzung des Verfahrensgrundrecht des Betroffenen auf rechtliches Gehör darstellt (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG; vgl. hierzu BVerfG NJW 1992, 2811 f.; OLG Jena, Beschl. v. 18.3.2004 – 1 Ss [OWi] 33/04; OLG Hamm, Beschl. v. 28.2.2005 – 2 Ss OWi 123/05).
Dass das Messfoto "bei lebensnaher Betrachtungsweise" die Benutzung eines Mobiltelefons zeigt, trifft ersichtlich nicht zu. Aufgrund des prozessordnungsgemäßen Verweises auf das betreffende Foto in den Urteilsgründen (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG) kann der Senat dieser Beurteilung aus eigener Anschauung treffen. Abgesehen davon, dass der auf der Abbildung erkennbare Gegenstand nicht ohne weiteres klar als Mobiltelefon identifiziert werden kann, ist entgegen der Annahme des Tatgerichts eine für das Führen eines Telefonats typische Handhaltung des Betroffenen darauf gerade nicht zu erkennen. Die Begründung, mit der das Amtsgericht angenommen hat, dass eine weitere Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei, ist angesichts dieser Sachlage nicht mehr verständlich und nachvollziehbar.
Der Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Davon betroffen ist wegen der tateinheitlichen Begehungsweise auch die an sich nicht rechtsfehlerhafte Verurteilung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
zfs 11/2022, S. 650 - 651