StVG § 7 Abs. 1 § 17; VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BGB § 249 § 251 § 843 Abs. 1; RVG-VV Nr. 2300
Leitsatz
1. Der Anspruch nach § 843 Abs. 1 BGB ist in der Regel auf die Rentenzahlung ausgerichtet und verlangt für die Möglichkeit, eine Kapitalabfindung zu fordern, einen wichtigen Grund. Zur Abgeltung vermehrter Bedürfnisse kommt in besonders gelagerten Fällen ferner ein durchzuführender Schadensausgleich in Betracht, wenn durch die einmalige Anschaffung eines Hilfsmittels für den Behinderten dessen erhöhtes Bedürfnis für die Zukunft in ausreichendem Maße befriedigt werden kann. Insoweit kommt auch ein Anspruch auf Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs in Betracht, wenn es erforderlich und geeignet ist, unfallbedingt entstandene vermehrte Bedürfnisse des Geschädigten zu befriedigen (Anschluss BGH, Urt. v. 20.1.2004 – VI ZR 46/03). (Rn 11)
2. Grundsätzlich muss es sich bei den vermehrten Bedürfnisse des Unfallgeschädigte um Mehraufwendungen handeln, die dauernd und regelmäßig erforderlich sind, die zudem nicht der Wiederherstellung der Gesundheit dienen und die im Vergleich zu einem gesunden Menschen erwachsen und sich daher von den allgemeinen Lebenshaltungskosten unterscheiden, welche in gleicher Weise vor und nach einem Unfall anfallen. (Rn 12)
3. Ein Anspruch auf Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs wegen unfallbedingt entstandener vermehrter Bedürfnisse kommt nicht in Betracht, wenn bei der Entscheidung für die Beschaffung des Pkws das für die Familie allgemein bestehende Bedürfnis nach Mobilität überwiegt, dessen Befriedigung zu den gewöhnlichen Lebenshaltungskosten gehört und die zu erstatten nicht Pflicht des Schädigers ist. (Rn 14)
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urt. v. 27.4.2023 – 12 U 153/22
1 Sachverhalt
[1] I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall vom XX.3.2016 in … in Anspruch. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind lediglich die im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs Pkw 1 stehenden Kosten.
[2] Das Landgericht (Potsdam Urt. v. 8.7.2022 – 4 O 331/19) hat die Beklagte nach inzwischen rechtskräftigem Grund- und Teilurteil mit Teil- und Schlussurteil zur Zahlung von weiteren 18.990 EUR nebst Zinsen sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 888,93 EUR verurteilt und zur Begründung ausgeführt, wie der Zeuge bestätigt habe, habe sich nach einer ersten akuten Krankheitsphase schnell herausgestellt, dass der kleine Pkw 2 infolge der unfallbedingten Versteifung der Wirbelsäule sowie der Einschränkungen am Knie nicht mehr benutzt werden könne. Die Nutzung eines Fahrzeuges seines Bruders, ein Pkw 3 … -Klasse, sei jedoch möglich gewesen, sodass man sich für den Erwerb des Pkw 1 entschieden habe. Eine Kostenerstattung von dritter Seite habe es nicht gegeben. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen wird auf das Urteil verwiesen.
[3] Die Beklagte hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 19.7.2022 zugestellte Urteil mit einem am 16.8.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 19.10.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 18.10.2022 begründet. Sie führt aus, mit den zeugenschaftlichen Angaben des Ehemannes der Klägerin sei der Nachweis einer unfallbedingt notwendigen Anschaffung des Pkw 1 nicht zu führen. Vielmehr habe es eines medizinischen Sachverständigengutachtens bedurft, das von der Klägerin noch nicht einmal angeboten worden sei. Zudem habe sie gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen, es sei nicht ersichtlich, dass es sich bei dem Pkw 1 um das kostengünstigste gleichwertige Fahrzeug handele. Das Landgericht setze sich auch nicht mit der Frage der Aktivlegitimation auseinander. Auch insoweit helfe die Zeugenaussage nicht, da der Anspruchsübergang automatisch erfolge, unabhängig davon, ob die Pflegeversicherung leiste. Ohne gutachterliche Unterstützung lege das Landgericht einen Ankaufspreis von lediglich 4.500 EUR zugrunde, ohne sich zum tatsächlichen Fahrzeugwert zu äußern. Schließlich seien die Rechtsanwaltskosten zu hoch. Dies betreffe zunächst den Ansatz der Kosten für den Pkw 1 aber auch die Höhe der Geschäftsgebühr, die allenfalls mit 1,5 anzusetzen sei.
[4] Die Beklagte beantragt,
[5] das Teil- und Schlussurteil des Landgerichts Potsdam vom 8.7.2022 zum Geschäftszeichen 4 O 331/19 abzuändern und die Klage insoweit insgesamt abzuweisen.
[6] Die Klägerin beantragt,
[7] die Berufung zurückzuweisen.
[8] Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die medizinischen Fragen seien durch das Sachverständigengutachten bereits geklärt. Auch die Beweiswürdigung des Landgerichtes sei durch den Senat nicht überprüfbar, der Schaden hinreichend belegt und durch das Landgericht am Beweismaßstab des § 287 ZPO zutreffend bemessen. Es handele sich hier um einen typischen Fall eines vermehrten Bedürfnisses. Der vorhandene Pkw sei schlicht zu klein und zu eng gewesen, wie sich aus der Zeugenaussage ergebe. Mit ihren Einwendungen gegen den Zeugen sei die Be...