OWiG § 107 Abs. 5
Leitsatz
Die Aktenversendungspauschale gem. § 107 Abs. 5 OWiG fällt nur bei Übersendung der vollständigen Originalakte an. Da der Beschilderungsplan zum notwendigen Bestandteil der Akte gehört, hätte dieser mitübersendet werden müssen. (Leitsatz der Redaktion)
AG Vechta, Beschl. v. 21.10.2022 – 93 OWi 234/22
1 Sachverhalt
Gegen den Antragsteller wird seitens des Landkreises Vechta ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Missachtung des Überholverbots u.a. geführt. Im Rahmen der Anhörung beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 21.7.2022 Einsicht in die Akte nebst dem "Straßen- und Beschilderungsplan der Baustelle in Fahrtrichtung Münster ab Beginn und bis Raststätte Dammer Berge, insbesondere der Zeichen 276 und 264 – mit Ortsangaben". Hierauf wandte sich der Landkreis Vechta an die Autobahn GmbH Osnabrück und bat um Übersendung des entsprechenden Beschilderungsplanes bzw. deren Ablichtung. Die Autobahn GmbH teilte mit, dass eine Übersendung nicht erfolgen könne. Vielmehr müsse der Beschilderungsplan vor Ort bei der Autobahn GmbH eingesehen werden. Der Landkreis Vechta verwies sodann den Antragsteller in einer Mail bzgl. des Beschilderungsplans auf die Autobahn GmbH sowie die dortige Einsichtnahme vor Ort und versandte die Akte ohne den Beschilderungsplan an den Antragsteller. Für die Versendung erhob der Landkreis gem. § 107 Abs. 5 StPO eine Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 EUR.
Das AG hat den Landkreis Vechta auf Antrag des Betroffenen angewiesen, den Straßen- und Beschilderungsplan der Baustelle auf der BAB 1 in Fahrtrichtung Münster ab Beginn und bis Raststätte Dammer Berge, insbesondere der Zeichen 276 und 264 – mit Ortsangaben, welcher zur Tatzeit maßgebend war, beizuziehen und diesen im Rahmen der Akteneinsicht dem Betroffenen über seinen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Weiter hat das AG auf Antrag des Betroffenen den Kostenansatz des Landkreises Vechta in Form der Pauschale in Höhe von 12 EUR für die Übersendung der Akte vom 29.7.2022 aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
[…] II. 1. Der jeweilige Antrag auf gerichtliche Entscheidung betr. der Beiziehung des Beschilderungsplans sowie betr. der Erhebung der Pauschale für die gewährte Akteneinsicht ist zulässig. Insbesondere besteht bzgl. der Beiziehung des Beschilderungsplans ein Rechtsschutzbedürfnis. Diesem steht nicht entgegen, dass der Landkreis Vechta bereits einen Bußgeldbescheid erlassen hat. Die Einsicht in den Beschilderungsplan ist weiterhin erforderlich, um die Erfolgsaussichten des fristgerecht eingelegten Einspruchs zu prüfen.
2. Die Anträge sind zudem begründet.
a) Der Landkreis Vechta war antragsgemäß zu verpflichten, den Beschilderungsplan beizuziehen. Der Beschilderungsplan ist ein notwendiges Beweismittel, welches unabdingbar für die Prüfung des Vorliegens der hier vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit erforderlich ist. Sowohl der Landkreis Vechta als auch der Verteidiger müssen anhand des Beschilderungsplans prüfen, ob zur Tatzeit am Tatort tatsächlich ein Überholverbot angeordnet war. Da der Landkreis Vechta nur bei Vorliegen und Einsehen des Beschilderungsplans die Verwirklichung des hier betr. Ordnungswidrigkeitentatbestandes bejahen kann, obliegt es ihm, den Beschilderungsplan zum Bestandteil der Akte zu machen. Diese Aufgabe kann nicht auf den Verteidiger übertragen werden, indem diesem aufgetragen wird, bei einer dritten Stelle vor Ort den Beschilderungsplan einzusehen. In diesem Zusammenhang ist dem nicht örtlich ansässigen Verteidiger aufgrund der deutlichen Entfernung nicht zuzumuten, für die Einsichtnahme an den Sitz der Autobahn GmbH in X anzureisen.
b) Der vom Landkreis Vechta erlassene Kostenansatz der Pauschale von 12 EUR für die Versendung der Akte ohne des Beschilderungsplanes war aufzuheben, da dieser rechtswidrig ist. Die Aktenversendungspauschale gem. § 107 Abs. 5 OWiG fällt nur bei Übersendung der vollständigen Originalakte an (Gassner/Seith/Sandherr, 2. Auflage 2020, § 107 OWiG Rn 29). Da der Beschilderungsplan zum notwendigen Bestandteil der Akte gehört, hätte dieser mitübersendet werden müssen, was nicht der Fall war.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
3 Anmerkung:
Die Entscheidung ist – für diesen spezifischen Einzelfall – zutreffend, nicht aber generalisierbar. Zum einen wird nicht klargestellt, ob der Betroffene Einsicht in die elektronische Akte gefordert hat oder in die papierne Akte. Wäre ersteres der Fall, dürfte überhaupt keine Gebühr anfallen. Zum anderen differenziert das AG hier nicht nach der Notwendigkeit der Einsicht in den Beschilderungsplan. Denn diese ist per se nicht erforderlich (vgl. zuletzt OLG Zweibrücken, Beschl. v. 26.7.2022 – 1 OWi 2 SsBs 84/21, BeckRS 2022, 21883), da sich die wesentliche Beschilderung aus dem Messprotokoll oder der Anzeigenaufnahme ergeben muss und seitens der Straßenbehörden aufgestellte Verkehrszeichen stets zu beachten sind. Nur für den Fall des § 45 Abs. 6 StVO, also wenn eine Baustellenfirma durch eine konkrete verkehrsbehördliche Anordnung ermächtigt w...