I. Grundlegung
Die deutsche Rechtsordnung gewährt den Angehörigen von Verletzten grundsätzlich kein Schmerzensgeld. Es fehlt an einer unmittelbaren Rechtsgutsverletzung. Psychische Beeinträchtigungen, wie Trauer und Schmerz beim Tode naher Angehöriger können, so der BGH am 4.4.1989, nur dann als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar und deshalb nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit angesehen werden.
Trauer und Schmerz, die durch schwere Verletzungen bei Angehörigen ausgelöst werden, sind zwar in schweren Fällen von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet und können für die körperliche Befindlichkeit durchaus medizinisch relevant sein. Sie schon deshalb auch rechtlich als Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen widerspräche – so der BGH – der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung, gerade in § 823 Abs. 1 BGB, auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und insbesondere Beeinträchtigungen bei Dritten, soweit diese nicht selbst in ihren eigenen Schutzgütern betroffen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB, ersatzlos zu lassen. Zwar werden nahe Angehörige durch die Nachricht vom Unfalltod des Verunglückten in aller Regel in ihrer psychischen/seelischen Befindlichkeit empfindlich gestört sein und sich hieraus nicht nur immaterielle, sondern auch materielle Beeinträchtigungen für sie ergeben. Dennoch hat das Gesetz – so der BGH – den materiellen Schadensersatz der nur "mittelbar" Geschädigten im Falle der Tötung auf die in §§ 844, 845 BGB näher bezeichneten Schäden begrenzt. Diese gesetzgeberische Entscheidung würde unterlaufen, wenn psychisch-seelische Auswirkungen aus dem Durchleben solcher Todesfälle als Gesundheitsverletzungen nach § 823 Abs. 1 BGB zu entschädigen wären.
Aus diesen Gründen hat der BGH eine Ersatzpflicht für psychisch vermittelte Beeinträchtigungen nur dort bejaht, wo es zu gewichtigen psycho-pathologischen Ausfällen von einiger Dauer kommt, die diese auch sonst nicht leichten Nachteile eines schmerzlich empfundenen Trauerfalls für das gesundheitliche Allgemeinbefinden erheblich übersteigen und die deshalb auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden. An diesen Grundsätzen hält der BGH bis heute fest.
II. Die Einheit von Opfer und Angehörigen
Dreh- und Angelpunkt der gesamten Diskussion um das Angehörigenschmerzensgeld ist die Feststellung des BGH, "wonach das geltende Recht Ersatzansprüche für seelischen Schmerz, soweit dieser nicht Auswirkung der Verletzungen des (eigenen) Körpers oder der (eigenen) Gesundheit ist, versagt". Diese Aussage ist in sich schlüssig und richtig. Fraglich ist nur, ob derjenige, der einen Menschen beispielsweise schwer oder tödlich verletzt, damit nicht automatisch auch den oder die Menschen mitverletzt, die dem Opfer besonders nahe stehen. Rechtsdogmatisch gewendet heißt die Frage, ob es in diesen Fällen wirklich an der Unmittelbarkeit der Verletzung fehlt.
Der Schädiger verletzt zunächst einmal unmittelbar das Opfer. Die Persönlichkeit des Opfers ist aber zugleich Teil der Persönlichkeit des Angehörigen, der dem Opfer besonders nahe steht. Das heißt der Schädiger verletzt im Zeitpunkt der Schädigungshandlung nicht nur den Körper des Opfers, sondern zugleich und zwar unmittelbar, ohne jeden Zwischenschritt und ohne jedes weitere Tun, auch die Persönlichkeit und den Körper des oder der nahen Angehörigen. Der Schädiger verletzt unmittelbar also zwei oder mehr Personen. Die Persönlichkeit des Opfers und die Persönlichkeit des oder der Angehörigen verschränken sich miteinander – verletzt man die eine Person, so verletzt man zugleich auch die andere. Opfer und Angehörige bilden eine körperlich-psychische Einheit – die körperliche Integrität des Opfers ist Teil der körperlichen Integrität des Angehörigen.
In der Psychologie werden Phänomene dieser Art unter dem Stichwort Familienbindung und vor allem Kameradschaft beim Militär diskutiert. Aus dem soldatischen Bereich ist bekannt, dass psycho-traumatische Verletzungen eines Soldaten durch Tod oder schwere Verletzung eines nahe stehenden Kameraden unmittelbar durch das Miterleben des Kameradentodes oder der Kameradenverletzung ausgelöst werden können. Die verschiedenen Auslandseinsätze der Bundeswehr haben für diese Zusammenhänge inzwischen nicht nur das Be...