Die auf einen Konflikt zwischen zwei österreichischen "Organisationen" zurückzuführende Vorlage an den EuGH hat zur Klärung der in den Leitsätzen wiedergegebenen Streitfragen für alle Bahnunternehmen in der EU geführt (vgl. Krüger, NJW 2013, 3407, 3408). Art. 17 Abs. 1 der VO Bahn ordnet für den Fall von Verspätungen im Bahnverkehr eine Entschädigungspflicht gegenüber Bahnkunden ohne die Erwähnung von Ausschlusstatbeständen an. Ob sich solche Ausschlusstatbestände aus Art. 15 VO Bahn i.V.m. Anhang I der VO und Art. 32 Abs. 2 VO Bahn herleiten lassen, war bis zur Entscheidung des EuGH umstritten. Art. 32 Abs. 2 der VO Bahn ordnete eine Haftungsbefreiung des Bahnunternehmens vor allem für die Fälle an, in denen die Verspätung auf außerhalb des Eisenbahnbetriebs begründete Umstände zurückzuführen waren. Daraus wurde abgeleitet, dass die in Art. 15 VO Bahn aufgeführten Umstände als Haftungsbefreiungstatbestände für die dem Grunde nach in Art. 17 VO Bahn begründete Entschädigungspflicht zu verstehen seien (vgl. Führig, Reiserecht, 6. Aufl., Rn 1172; Bollweg, RRa 2010, 106, 112 f.; Hilpert, MDR 2008, 597, 600; Schmidt, RRa 2008, 154, 159; vgl. auch AG Frankfurt am Main NJW-RR 2006, 1559).
1. Die Entscheidung des EuGH verneint eine Anknüpfungsmöglichkeit des Art. 32 VO Bahn an die Entschädigungsregelung des Art. 17 VO Bahn mit der Erwägung, dass Art. 32 VO Bahn die konkrete Berechnung des Schadens aus einer Verspätung regelt, während Art. 17 VO Bahn den standardisierten und pauschalierten Ersatz der Entschädigung erfasst (Rn 38). Damit wird das Eisenbahnunternehmen nicht von seiner pauschalierten Haftung für die Verspätung wegen außergewöhnlicher Wetterbedingungen, Naturkatastrophen, Kriegshandlungen, Terrorakten, Suizidversuchen und Streiks frei (vgl. Führig, a.a.O.).
2. Vor allem die Entschädigungspflicht für Verspätung aufgrund höherer Gewalt führt im Vergleich zu anderen Transportmitteln, wie Flugreisen, Schiffs- und Busverkehr zu einer Schlechterstellung des Eisenbahnverkehrs (vgl. die Nachweise bei Krüger, NJW 2013, 3407, 3408). Der EuGH geht sehr knapp und mit unvollständiger Begründung auf die Unterschiede zwischen den Leistungserbringern von Personenbeförderung ein und nimmt insb. keine ausführliche Stellung zur sich anbietenden Analogie bezüglich der für im Wettbewerbsverhältnis mit Bahnleistungen stehenden Erbringern sonstiger Personenbeförderung (Krüger, a.a.O.).
3. Vor allem das Einstehenmüssen für Verspätungen im Zugverkehr als Folge höherer Gewalt, d.h. solcher von außen kommender Ereignisse, die keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisen und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbar sind (vgl. BGH NJW 1987, 1938; BGH NJW 2002, 3700; Teichmann, JZ 2006, 499, 503; eingehend Führig, a.a.O Rn 537 m.w.N.) bringt nicht nur Probleme hinsichtlich der Einbeziehung solcher Umstände in die Kalkulation von Beförderungsentgelten mit sich, sondern wirkt sich letztlich zu Lasten aller Eisenbahnkunden aus, die bei einer Entschädigungspflicht auch für auf höherer Gewalt beruhenden Verspätung (zur Begriffsbestimmung vgl. Art. 3 Nr. 12, 17 IV VO Bahn: Fahrgast ereicht nicht zur fahrplanmäßig vorgesehenen oder ihm individuell bei Kauf der Fahrkarte mitgeteilten Zeit den vertraglich vereinbarten Zielort) mit einer kalkulatorisch zwingenden Preiserhöhung rechnen müssen. Als Ausweg bleibt nur eine von dem Europäischen Verordnungsgeber zu bestimmende einheitliche, Wettbewerbsnachteile des Bahnbetriebs beseitigende Regelung des Verspätungsrechts.
Von geringerer Bedeutung ist die in dem 1. Leitsatz verneinte Befugnis der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörde, den konkreten Inhalt der Beförderungsbedingungen dem Leistungsbringer vorschreiben zu dürfen.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 1/2014, S. 14 - 18