BGB § 254; StVG § 7 § 9; StVO § 4 § 5 § 9 Abs. 5
Leitsatz
Bei einer Kollision eines nach links in ein Grundstück mit seinem Kfz einbiegenden Fahrzeugführer, der nicht die höchstmögliche Sorgfalt gewahrt hat, und einem das vorausfahrende Fahrzeug zum Überholen ansetzenden Pedelec, dessen Fahrer entweder die Nichteinhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstands oder ein fehlerhaftes Linksüberholen vorzuwerfen ist, ist von einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten des Pkw-Fahrers und einer Mithaftung des Fahrers des Pedelec von 1/3 auszugehen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Saarbrücken, Urt. v. 15.11.2013 – 13 S 107/13
Sachverhalt
Der Bekl. und Wider-Kl. fuhr mit seinem Pedelec hinter dem Fahrzeug des Kl., der beabsichtigte, in ein Grundstück einzubiegen. Dabei kam es aus zwischen den Parteien streitigen Gründen zu einer Kollision. Nach der Darstellung des Kl., der den Ersatz seines an dem Kfz entstandenen Schadens geltend gemacht hat, habe die Fahrerin seines Kfz vor dem Abbiegen rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt, das Fahrzeug zur Mitte der Fahrbahn gelenkt und fast bis zum Stillstand abgebremst. Unfallursache sei es gewesen, dass der Bekl. mit seinem Pedelec zu dicht aufgefahren sei und das Fahrzeug habe überholen wollen.
Der Bekl., der mit seiner Widerklage den Ersatz der an seinem Pedelec entstandenen Schäden geltend gemacht hat, hat zum Unfallhergang behauptet, dass die Fahrerin des Kfz des Kl. am rechten Fahrbahnrand gefahren sei und dann plötzlich mit dem Abbiegen begonnen habe. Erst beim Abbiegen habe sie den Blinker gesetzt. Trotz Vollbremsung sei der Bekl. von dem abbiegenden Pkw, dem er noch habe ausweichen wollen, mitgenommen worden.
Das AG hat nach Beweisaufnahme auf der Grundlage einer Haftungsteilung der Klage und Widerklage stattgegeben. Das LG hat nach Verwertung einer Videoaufnahme, mit der sich die Parteien einverstanden erklärt haben, eine Haftung des Kl. zu 2/3, des Bekl. zu 1/3 angenommen.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Allerdings ist das Erstgericht zu Recht davon ausgegangen, dass nur den Kl. die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG trifft, so dass er für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens grds. einzustehen hat. Denn die Unfallschäden sind beim Betrieb des klägerischen Pkw entstanden und der Unfall ist nicht auf höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG zurückzuführen. Dem gegenüber haftet der Bekl. nicht aus § 7 Abs. 1 StVG, da es sich bei dem vom Bekl. benutzten Pedelec – wie auch zwischen den Parteien unstreitig ist – nicht um ein Kfz i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG, sondern um ein Fahrrad im Rechtssinne handelt (vgl. nunmehr § 1 Abs. 3 StVG n.F.; für die Rechtslage davor vgl. Jaeger, zfs 2011, 663 ff m.w.N.)."
2. Zutreffend – und in der Berufung nicht mehr angegriffen – hat der Erstrichter auch auf Klägerseite ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls angenommen, weil die Zeugin … gegen die besonderen Pflichten beim Abbiegen in ein Grundstück verstoßen hat (§ 9 Abs. 5 StVO).
3. Auch soweit der Erstrichter ein Mitverschulden auf Seiten des Bekl. festgestellt hat, lässt dies im Ergebnis einen Rechtsfehler nicht erkennen. Denn der Bekl. hat entweder gegen die Pflichten beim Überholen (§ 5 Abs. 4 StVO) oder gegen seine Pflicht zur Einhaltung eines ausreichenden Abstands zu einem vorausfahrenden Fahrzeug (§ 4 Abs. 1 StVO) verstoßen. Ausgehend von dem Unfallhergang, wie ihn die Kammer anhand der bei der Akte befindlichen Videoaufnahme des Unfalls nachvollzogen hat, legt das Fahrverhalten des Bekl. nahe, dass er die Zeugin … im Hinblick auf deren Verlangsamen überholen wollte. Der Bekl. hat indes seinen Überholvorgang erst begonnen, nachdem bereits der linke Fahrtrichtungsanzeiger am klägerischen Fahrzeug betätigt war und das Fahrzeug deutlich verlangsamte, so dass er sich auf ein Linksabbiegen des Vorausfahrenden hätte einstellen müssen. Ein unbehindertes Überholen war danach ausgeschlossen, so dass der Bekl. gegen § 5 Abs. 4 S. 4 StVO verstoßen hätte. Aber auch wenn der Bekl. – entsprechend seinen eigenen Angaben – überhaupt nicht überholen wollte, träfe ihn ein Sorgfaltsverstoß. Denn er hätte in diesem Fall insb. im Hinblick auf das deutliche Verlangsamen der Zeugin … einen ausreichenden Abstand einhalten müssen und nicht – wie erfolgt – so dicht auffahren dürfen, dass ihm ein gefahrloses Bremsen hinter dem abbiegenden Kl.-Pkw unmöglich war. In diesem Fall träfe den Bekl. ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO, der bestimmt, dass der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug i.d.R. so groß sein muss, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.
4. Die Berufung wendet sich aber mit Erfolg gegen die vom Erstrichter im Rahmen der § 9 StVG, § 254 BGB vorgenommene Haftungsabwägung. Es entspricht st. Rspr. der Kammer und ist weitgehend anerkannt, dass der Verstoß gegen die höchstmögliche Sorgfalt gem. § 9 Abs. 5 StVO grds. zu einer überwiegenden Haftung des Abbiegenden führt (vgl. KG, VM 1995, 92; OLG Koblenz DAR 2005, 403; OLG Rostock SP 2010, 316; Kammer, Hinweisbeschl. v. 28.3.2012 – 1...