Der möglicherweise Unfallgeschädigte befindet sich nach dem Unfallereignis in einer schwierigen Lage. Empfindet er nach dem Unfall Verspannungen und Druckschmerzen, wird für ihn nichts näher liegen, als einen Arzt aufzusuchen, um im Hinblick auf etwaige Feststellungen zu den Beeinträchtigungen die tatsächlichen Voraussetzungen seines Schadensersatzanspruchs zu sichern. Unterlässt er dies, und stellt sich später heraus, dass er unfallbedingte Verletzungen hatte, die wegen ihrer zunächst nicht erfolgten Diagnose und darauf beruhender unterbliebener Behandlung sich verschlechtert haben, werden ihm der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung mit einiger Aussicht auf Erfolg ein den Schaden erhöhendes Mitverschulden vorwerfen (§ 254 Abs. 2 BGB).
1. Die Frage der Ersatzfähigkeit von Schadensermittlungskosten und darauf beruhender Behandlungskosten wird häufig im Zusammenhang mit einem behaupteten HWS-Syndrom zu klären sein. Dass das Aufsuchen eines Arztes nach einem Auffahrunfall und den seitdem auftretende Beschwerden eine "sachgerechte Reaktion" (Jäger, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum HWS-Schleudertrauma, in Festschrift Eggert, 2008, S. 213, 246) ist, steht außer Frage. Angesichts der hohen Hürden für den Nachweis eines unfallbedingten HWS-Syndroms (vgl. Castro/Lepsien/Mazzotti, NZV 2013, 525, 526; Mergner, NZV 2011, 326; Eschelbach/Geipel, NZV 2010, 481, 483; Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2004, 204, 206; Jaeger, a.a.O. S. 232 ff.) scheint die von dem Geschädigten in Anspruch genommene ärztliche Untersuchung und eine sich ggf. daran anknüpfende ärztliche Behandlung nicht ersatzfähiger Aufwand zu sein, wenn sich schließlich der Nachweis eines unfallbedingten HWS-Syndroms nicht führen lässt.
2. Dass diese schwerlich der Billigkeit entsprechende Konsequenz eines zu begrüßenden Verhaltens des verantwortungsbewussten Geschädigten nicht hinnehmbar erscheint, liegt auf der Hand. Die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe nach einem Unfallereignis mit aufgetretenen Beschwerden kann nicht dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet werden (so Lemcke, r+s 2003, 177, 185). Das wäre nur dann zutreffend, wenn die Ausgangsüberlegung zutrifft, dass ein Bagatellfall vorlag, sich hieraus eine psychische Erkrankung entwickelte und die psychische Reaktion wegen des groben Missverhältnisses zum Anlass nicht mehr nachvollziehbar sei (vgl. auch Born, OLGR Hamm 2003, K4). Weder ist es gesichert, dass nach einem Unfall regelmäßig erst psychische Fehlverarbeitungen auftreten, die im groben Missverhältnis zum Anlass stehen, noch kann die Sachgerechtheit der Inanspruchnahme eines Arztes in Abrede gestellt werden.
3. Verfehlt ist es, zur Verneinung eines Anspruchs auf Ersatz der Fahrtkosten zu Ärzten, der Attestkosten und der aufgrund der Diagnose verschriebenen Krankengymnastik darauf abzustellen, ob eine unfallbedingte Primärverletzung als Auslöser eines HWS-Syndroms mit dem Beweismaß des § 286 ZPO nachgewiesen ist (vgl. OLG Hamm r+s 2003, 434). Für die Ersatzfähigkeit dieser Kosten kommt es auf eine ursächliche Verbindung mit einem HWS-Syndrom nicht an (vgl. auch LG Verden zfs 2004, 207, 208; Jaeger, a.a.O. S. 247 f.).
Davon geht auch der BGH in seiner Entscheidung aus. Obwohl der BGH in seiner Revisionsentscheidung es nicht beanstandet, dass eine unfallbedingte HWS-Distorsion nicht eingetreten sei (Rn 9), gibt er dem BG auf, die Beweiswürdigung darauf zu erstrecken, dass der Eintritt einer weit auszulegenden Körperverletzung zu prüfen sei (Rn 12). Daraus lässt sich entnehmen, dass es für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Schadensermittlungs- und Behandlungskosten nicht auf den Nachweis einer das HWS-Syndrom auslösenden Primärverletzung ankommt, sondern eine gesicherte Körperverletzung ausreicht (Rn 12).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 1/2014, S. 19 - 21