OWiG § 20 § 46; StPO § 264
Leitsatz
Es ist mit § 46 OWiG, § 264 StPO nicht zu vereinbaren, in Bußgeldsachen, die Verstöße gegen die Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr zum Gegenstand haben, mehrere rechtlich selbstständige Handlungen i.S.d. § 20 OWiG allein deshalb als eine prozessuale Tat anzusehen, weil der Betroffene sie innerhalb eines Kontroll- oder Überprüfungszeitraums begangen hat.
BGH, Beschl. v. 12.9.2013 – 4 StR 503/12
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. durch Urt. v. 10.5.2012 wegen 36 Ordnungswidrigkeiten nach § 8a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 (Überschreiten der täglichen Lenkzeit), Art. 7 (Fahrtunterbrechung nach einer Lenkdauer von viereinhalb Stunden) und Art. 8 Abs. 2 und 4 (tägliche Ruhezeiten) der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zu Geldbußen im Gesamtbetrag von 3.000 EUR verurteilt, wovon nur zwei Einzelgeldbußen die Höhe der Zulässigkeitsschwelle für die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG von 250 EUR überschreiten.
Der Betr. ist als Berufskraftfahrer bei einer Spedition in K. beschäftigt. Die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord des Landes Rheinland-Pfalz kontrollierte die Einhaltung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr beim Arbeitgeber des Betr. für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.1.2011. Der Betr. führte im fraglichen Zeitraum ein Fahrzeug mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 26 t. In achtzehn Fällen führte er das Fahrzeug vorsätzlich oder fahrlässig länger als viereinhalb Stunden, ohne eine Pause oder Ruhezeit einzulegen (Art. 7 der VO [EG] Nr. 561/2006). In vier Fällen überschritt er vorsätzlich oder fahrlässig die Tageslenkzeit (Art. 6 Abs. 1 der VO [EG] Nr. 561/2006). In zwei Fällen hielt er vorsätzlich die tägliche Ruhezeit nicht ein (Art. 8 Abs. 1 und 4 der VO [EG] Nr. 561/2006). In zwölf Fällen trafen Verstöße gegen die vorgenannten Vorschriften in unterschiedlichen Kombinationen tateinheitlich zusammen. Verstöße gegen die Wochenlenkzeit (Art. 6 Abs. 2 der VO [EG] Nr. 561/2006) oder die Lenkzeit in der Doppelwoche (Art. 6 Abs. 3 der VO [EG] Nr. 561/2006) wurden nicht festgestellt.
Auf die Rechtsbeschwerde bzw. den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde des Betr. hat das OLG durch Beschl. v. 29.10.2012 die Sache gem. § 121 Abs. 2 GVG dem BGH vorgelegt.
Das OLG möchte die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nur hinsichtlich der beiden mit Geldbußen über 250 EUR geahndeten Ordnungswidrigkeiten bejahen. Hinsichtlich der übrigen 34 Fälle hält es die Zulassung der Rechtsbeschwerde für notwendig, deren Voraussetzungen (§ 80 OWiG) es nicht als gegeben ansieht. Es ist der Ansicht, dass die nach § 20 OWiG tatmehrheitlich abgeurteilten Ordnungswidrigkeiten keine einheitliche prozessuale Tat i.S.v. § 46 OWiG, § 264 StPO seien, so dass § 79 Abs. 2 OWiG Anwendung finde. Eine prozessuale Tat, bei der in Bezug auf die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG die einzelnen Geldbußen zusammenzurechnen wären und die Rechtsbeschwerde hinsichtlich aller Einzeltaten deshalb statthaft wäre (st. Rspr., u.a. OLG Köln NZV 1994, 292; BayObLG NStZ-RR 1997, 249; OLG Düsseldorf VRS 100 [2001], 311, 312 jeweils m.w.N.; Bohnert, OWiG, 3. Aufl., § 79 Rn 95, 99; Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 79 Rn 23), liege nicht vor.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das OLG durch die Beschlüsse des OLG Frankfurt v. 13.7.2010 – 2 Ss OWi 17/10, NStZ-RR 2010, 355, des OLG Thüringen v. 19.10.2010 – 1 Ss Bs 78/10, VRS 121 [2011], 53 sowie des OLG Hamm v. 16.4.2012 – 3 RBs 105/12, DAR 2012, 401 und v. 30.11.2010 (5 RBs 188/10, veröffentlicht bei juris, und 5 RBs 158/10, DAR 2011, 412) gehindert. Nach Auffassung des vorlegenden OLG gehen diese OLG davon aus, dass bei Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr die Tat i.S.d. § 264 StPO durch den Überprüfungszeitraum der jeweils handelnden Behörde bestimmt werde. Bei Straßenkontrollen sei dies der gem. § 1 Abs. 6 S. 4, Abs. 7 FPersV durch die Verwendung eines digitalen Aufzeichnungsgeräts vorgegebene (Kontroll-)Zeitraum von 29 Tagen, innerhalb dessen alle Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeitvorschriften nach der VO (EG) Nr. 561/2006 eine prozessuale Tat seien. Bei einer Betriebskontrolle sei dies der durch die jeweils handelnde Behörde festgelegte Überprüfungszeitraum. Dementsprechend habe das OLG Hamm in seinen Beschlüssen v. 30.11.2010 Verstöße innerhalb eines Überprüfungszeitraums von elf bzw. sieben Monaten als eine prozessuale Tat angesehen.
Das vorlegende OLG teilt diese Auffassung nicht. Sachlich-rechtlich selbstständige Handlungen seien in der Regel auch verschiedene Taten im prozessualen Sinne, es sei denn, die einzelnen Handlungen seien ausnahmsweise innerlich derart miteinander verknüpft, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände richtig gewürdigt werden könne, die zu der anderen Handlung geführt haben, und deshalb die getrennte Aburteilung einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Dafür reiche nicht, dass dieselbe Person gehandelt habe und sich das ...