StVO § 23 Abs. 1 § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; StVZO § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; FZV § 16 Abs. 6
Leitsatz
1. § 23 Abs. 1 StVO ist als Auffangbestimmung nur anwendbar, wenn die Sondervorschriften der §§ 30, 32 ff. StVZO nicht eingreifen.
2. Auch ein mit rotem Kennzeichen versehenes Fahrzeug muss den technischen und ordnungsrechtlichen Straßenverkehrsvorschriften entsprechen. Es ist nach §§ 16 Abs. 6 FZV, 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVZO nur von der Verpflichtung zur Hauptuntersuchung befreit.
KG, Beschl. v. 20.5.2014 – 162 Ss 74/14 – 3 Ws (B) 271/14
Sachverhalt
Das AG T hat gegen den Betr. wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen § 23 Abs. 1 StVO eine Geldbuße von 300 EUR festgesetzt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betr. wird das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Die Rechtsfolgenbemessung ist rechtsfehlerhaft, weil für den bußgelderhöhend gewichteten Bußgeldbescheid v. 28.7.2008 (rechtskräftig seit 5.3.2009) im Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Urteils am 20.3.2014 bereits die absolute Tilgungsfrist von fünf Jahren nach § 29 Abs. 6 S. 4 StVG erreicht war, was nach § 29 Abs. 8 S. 1 StVG seine Unverwertbarkeit zur Folge hat. Auch der Bußgeldbescheid v. 1.11.2011 (rechtskräftig seit 24.11.2011) durfte nach dieser Vorschrift nicht mehr zum Nachteil des Betr. verwertet werden. Seine Tilgungsfrist betrug nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 StVG zwei Jahre."
2. Der Senat hat erwogen, unter Außerachtlassung der bußgeldrechtlichen Vorbelastungen nach § 79 Abs. 6 Alt. 1 OWiG in der Sache selbst zu entscheiden, sieht sich daran aber gehindert, weil das AG auch verkannt hat, dass § 23 Abs. 1 StVO als Auffangbestimmung nur anwendbar ist, wenn die Sondervorschriften der §§ 30, 32 ff. StVZO nicht eingreifen (vgl. Senat VRS 82, 149 und Beschl. v. 8.1.1997 – 3 Ws (B) 626/96; v. 17.2.1997 – 3 Ws (B) 30/97; v. 6.3.1997 – 3 Ws (B) 55/97 – [alle bei juris] und v. 11.1.2010 – 3 Ws (B) 730/09; OLG Düsseldorf VRS 74, 294; Krenberger in NK-GVR, § 23 StVO Rn 1; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 23 StVO Rn 9). Die Bußgeldrichterin hat daher keine Zuordnung der von ihr festgestellten Mängel zu den einzelnen Bestimmungen der StVZO vorgenommen. Der Senat kann diese Säumnis auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch nicht nachholen. Diese weisen zunächst pauschal aus, der Betr. habe ein Fahrzeug geführt, das so erhebliche Mängel gehabt habe, dass es verkehrsunsicher gewesen sei. Erst im Rahmen der Beweiswürdigung werden einzelne Mängel konkretisiert. Auch wenn die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGH AfP 78, 103; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 267 Rn 3), führt die Vermengung von Feststellungen und Beweiswürdigung hier doch zu Unklarheiten, welchen Bekundungen und Wertungen des Zeugen und des Sachverständigen das AG gefolgt ist und welche Mängel es in welchem Umfang für erwiesen erachtet hat. Derartigen Schwierigkeiten könnte mit einer klaren Trennung zwischen Urteilsfeststellungen und Beweiswürdigung begegnet werden.
3. Für die neue Entscheidung weist der Senat noch auf Folgendes hin:
a) Misst das Tatgericht einem Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es in jedem Fall – gleichgültig, ob es ihm folgt oder nicht – die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Senat, VRS 111, 449 m.w.N. und NZV 2008, 51 sowie Beschl. v. 8.5.2009 – 3 Ws (B) 259/09 und v. 11.1.2010 – 3 Ws (B) 730/09).
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das AG zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein mit rotem Kennzeichen versehenes Fahrzeug den technischen und ordnungsrechtlichen Straßenverkehrsvorschriften entsprechen muss. Dass es nach §§ 16 Abs. 6 FZV, 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVZO von der Verpflichtung zur Hauptuntersuchung befreit ist, hat – selbstverständlich – nicht zur Folge, dass es, wenn es im öffentlichen Verkehrsraum betrieben wird, von den sonstigen der Verkehrssicherheit dienenden Vorschriften befreit ist.
4. Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers war abzulehnen. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt nicht vor. Die Rechtslage ist nicht schwierig i.S.v. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 140 Abs. 2 StPO.
5. Der Senat hebt das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache nach § 79 Abs. 6 Alt. 2 OWiG an das AG zurück. … “
3 Anmerkung:
Eine der seltenen Entscheidungen zu § 23 Abs. 1 StVO und ein wichtiger Hinweis für den Verteidiger: Das Gericht kann sich auf diesen Auffangtatbestand nicht stützen, wenn stattdessen konkrete Verstöße nach der StVZO vorliegen. Diese müssen festgestellt werden, nicht aber dürfen diese in einer Art Beweiswürdigung zur Stützung des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 StVO abgehandelt werden. Hier führt also ausnahmsweise einmal die reine Sachrüge zum Erfolg der Rechts...