FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2; Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 7 Abs. 1 12
Leitsatz
Aus einer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom Ausstellermitgliedstaat eingeholten Meldebescheinigung können sich unbestreitbare Informationen darüber ergeben, dass der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis dort zum Zeitpunkt der Erteilung nicht seinen ordentlichen Wohnsitz hatte.
OVG NRW, Urt. v. 17.1.2014 – 16 A 1292/10
Sachverhalt
Der Kl.r, ein deutscher Staatsangehöriger, erwarb 1992 eine Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3, die ihm 1999 wegen einer Trunkenheitsfahrt (BAK 1,83 Promille) entzogen wurde. Ein erster Neuerteilungsantrag wurde 2001 nach einer negativen medizinisch-psychologischen Begutachtung abgelehnt; ein zweiter scheiterte 2003, weil der Kl. eine weitere Untersuchung verweigerte. Anfang 2006 erhielt der Kl. eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B, die ihm Mitte 2007 durch Strafurteil entzogen wurde, nachdem er im Januar 2007 erneut ein Kfz unter Alkoholeinfluss (BAK 1,31 Promille) geführt hatte. Am 27.8.2009 erwarb der Kl. sodann eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B. In dem am selben Tag ausgestellten Führerschein ist als Wohnsitz die polnische Gemeinde Slubice eingetragen. Gegenüber der deutschen Meldebehörde hatte sich der Kl. zum 16.6.2009 nach Slubice ab- und zum 1.9.2009 wieder in Deutschland angemeldet. Als der Bekl. von dem Fahrerlaubniserwerb durch eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts Kenntnis erlangt hatte, stellte er mit Verfügung vom Januar 2010 fest, dass die polnische Fahrerlaubnis des Kl. in der Bundesrepublik Deutschland keine Gültigkeit habe. Die dagegen gerichtete Klage wies das VG [VG Köln v. 28.5.2010 – K 475/10] ab. Die anschließend eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg, nachdem das OVG eine Auskunft der polnischen Meldebehörde eingeholt hatte. Danach war der Kl. in Slubice mit befristeten Aufenthalten vom 31.1. bis zum 21.8.2008 und vom 16.6. bis zum 14.9.2009 gemeldet.
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Berufung des Kl. hat in der Sache keinen Erfolg."
Die Feststellung, dass die dem Kl. am 27.8.2009 erteilte polnische Fahrerlaubnis der Klasse B in der Bundesrepublik Deutschland keine Gültigkeit besitzt, kann zwar nicht – wie in der Ordnungsverfügung angenommen – auf § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV gestützt werden. Diese Vorschrift ist nach der Rspr. des EuGH auch unter Geltung der vorliegend maßgeblichen Richtlinie 2006/126/EG (sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie) nur auf Fälle anwendbar, in denen die EU- oder EWR-Fahrerlaubnis – anders als hier – während einer noch laufenden Sperrfrist erteilt worden ist, und verstößt ansonsten gegen den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz (vgl. EuGH, Urt. v. 26.4.2012 – C-419/10 (Hofmann), juris, Rn 50 f., 65 und 85 = [zfs 2012, 351 =] NJW 2012, 1935).
Sie findet ihre Rechtsgrundlage jedoch in § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2 FeV in der hier maßgeblichen Fassung durch die Dritte Verordnung zur Änderung der FeV v. 7.1.2009 (BGBl I S. 29). Nach § 28 Abs. 1 S. 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz i.S.d. § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, grds. im Umfang ihrer Berechtigung Kfz im Inland führen. Gem. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV gilt dies aber nicht für solche Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie – was auf den Kl. nicht zutrifft – als Studierende oder Schüler i.S.d. § 7 Abs. 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 kann die Behörde nach § 28 Abs. 4 S. 2 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Der Erlass des feststellenden Verwaltungsakts liegt im Ermessen der Behörde, das allerdings intendiert ist, wenn ein Feststellungsinteresse gegeben ist, weil – wie hier – Zweifel am Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und/oder 3 FeV bestehen. Insoweit bedarf ein feststellender Verwaltungsakt keiner Ermessensbegründung. Zudem kann die Begründung für das Fehlen einer Fahrberechtigung in Deutschland ausgewechselt werden (vgl. BayVGH, Urt. v. 11.11.2013 – 11 B 12.1326, juris, Rn 19; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 28 FeV Rn 56).
§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV ist mit Unionsrecht vereinbar. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine (Fahrerlaubnisse) gegenseitig anerkannt. Dabei regelt das Unionsrecht selbst die Mindestvoraussetzungen, die für die Ausstellung eines Führerscheins bzw. die Erteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. Insoweit muss nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126/EG die Fahreignung durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden; darüber hinaus hängt die Ausstellung des Führerscheins vom Vorhandensein eines ordentlichen W...