Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Ehefrau des Antragstellers hatte wegen angeblich alkoholbedingter Aggressivität die Polizei gerufen. Aufgrund des Polizeiberichts verlangte die Fahrerlaubnisbehörde vom Antragsteller die Vorlage eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens. Dieses verneinte das Vorliegen von Alkoholabhängigkeit. Die Fahrerlaubnisbehörde meinte aber, dem Gutachten Anzeichen für Alkoholmissbrauch entnehmen zu können und forderte vom Antragsteller die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Dieses brachte er nicht bei. Daraufhin entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren obsiegte der Antragsteller.
Die Leitsätze lauten:
1. Ein fahrerlaubnisrelevanter Alkoholmissbrauch liegt vor, wenn zwischen einem übermäßigen, die Fahreignung einschränkenden Alkoholkonsum und dem Führen eines Fahrzeuges nicht hinreichend sicher getrennt wird (vgl. Anlage 4 zur FeV, Ziffer 8.1.). Anhaltspunkte dafür liegen vor, wenn zu einer hohen Alkoholgewöhnung verkehrsbezogene Umstände hinzutreten, so dass zumindest ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr besteht.
2. Die schlichte Feststellung in einem ärztlichen Gutachten, dass Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch vorliegen, ersetzt nicht die Prüfung durch die Fahrerlaubnisbehörde, ob im Einzelfall ausreichende verkehrsbezogene Zusatztatsachen festzustellen sind.
Das Gericht entschied, dass die Fahrerlaubnisbehörde nicht berechtigt gewesen sei, die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern. Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, dass Fahrerlaubnisbehörden – und auch manche Verwaltungsgerichte – dazu neigen, den fahrerlaubnisrechtlichen Begriff des Alkoholmissbrauchs nicht scharf genug von demjenigen des medizinischen Begriffs des Alkoholmissbrauchs zu trennen. Der fahrerlaubnisrechtliche Begriff des Alkoholmissbrauchs setzt voraus, dass der Konsum von Alkohol einerseits und das Führen von Kraftfahrzeugen andererseits nicht strikt genug getrennt werden. Wer im landläufigen Begriff "Alkoholiker" ist, begeht nicht zwingend Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn.
Die Beibringungsaufforderung war auf § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a FeV gestützt worden. Die erste Alternative dieser Vorschrift hat zur Voraussetzung, dass nach einem zuvor eingeholten ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen. Es müssen also nach dem ärztlichen Gutachten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betroffene zukünftig den Genuss von Alkohol und das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht trennen wird (vgl. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Das kann der Fall sein, wenn der Betroffene im ärztlichen Gutachten Angaben zu seinem Trink- und anschließenden Verhalten gemacht hat, das darauf schließen lässt, dass er deutlich mehr trinkt als gesellschaftlich üblich und er sich der Gefahren von Alkohol im Straßenverkehr nicht bewusst ist oder diese verharmlost oder sogar bereits unter dem Einfluss von Alkohol am Straßenverkehr teilgenommen hat. Solche Anhaltspunkte waren dem vorliegenden ärztlichen Gutachten offenbar nicht zu entnehmen.
Die zweite Alternative der Vorschrift setzt voraus, dass sonstige Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. In der Rechtsprechung wurde sie bejaht in den Fällen
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des überdurchschnittlich alkoholgewöhnten Berufskraftfahrers mit nahezu täglichem Einsatz, |
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des Betroffenen mit häufig wiederkehrendem Konsum großer Mengen Alkohol, der beruflich auf das regelmäßige Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr angewiesen ist, |
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des Fahrerlaubnisinhabers, der sich im alkoholisierten Zustand verantwortungslos verhält, nachdem er bereits einmal mit einer hohen Blutalkoholkonzentration im Straßenverkehr aufgefallen war, |
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des Fahrerlaubnisinhabers, der bereits einmal mit einer hohen Blutalkoholkonzentration im Straßenverkehr aufgefallen war und in erheblichem Maß weiter Alkohol konsumiert |
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und des Betroffenen, der in alkoholisiertem Zustand ein Verkehrsunfall verursacht und nach Beendigung der Fahrt sofort erhebliche weitere Mengen Alkohol trinkt. |
Eine Vergleichbarkeit zu diesen Fallgruppen hat das Gericht zu Recht abgelehnt.
In die gleiche Richtung geht der Beschluss des OVG Münster vom 29.7.2015 – 16 B 584/15: Erheblicher Alkoholkonsum oder massive Alkoholgewöhnung allein reichen nicht aus, um Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn anzunehmen.