ZPO § 85 Abs. 2 § 233 § 236 Abs. 2 S. 1 § 294
Leitsatz
Wird ein fristgebundener Schriftsatz per Telefax übermittelt, genügt es für die Ausgangskontrolle, dass ein vom Faxgerät des Absenders ausgedrucktes Sendeprotokoll die ordnungsgemäße Übermittlung an den Adressaten belegt und dieses vor Fristablauf zur Kenntnis genommen wird. Trägt der Sendebericht den Vermerk "OK", kann es einem am Verfahren Beteiligten nicht als schuldhaftes Verhalten angelastet werden, wenn es bei dem elektronischen Übertragungsvorgang dennoch zu – nicht aus dem Sendeprotokoll ersichtlichen – Fehlern kommt.
BGH, Beschl. v. 1.3.2016 – VIII ZB 57/15
Sachverhalt
Die Frist zur Berufungsbegründung war für den Bekl. bis zum 21.7.2015 verlängert worden. Am 20.7.2015 ging bei dem LG per Telefax ein mit "Berufungsbegründung" überschriebener Schriftsatz ein, dessen Übertragung auf der nicht vollständig übermittelten Seite 6 abbrach. Die Berufungsbegründung hatte eine Länge von 25 Seiten; auf der letzten Seite befand sich die Unterschrift des Beklagtenvertreters. Das Telefax trägt Zeitaufdrucke des Empfangsgerätes von 16.25 bis 16.29 Uhr und des Sendegerätes von 16.27 bis 16.30 Uhr. Am 21.7.2015 unterrichtete der Vorsitzende der Berufungskammer den anwaltlichen Vertreter des Berufungsführers von der unvollständigen Übermittlung des Schriftsatzes. Am 23.7.2016 ging das Original der Berufungsbegründung auf dem Postweg vollständig bei dem LG ein. Nachdem der Vorsitzende der Berufungskammer mitteilte, es sei beabsichtigt, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen, ließ die Bekl. durch Schriftsatz per Telefax am 24.7.2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragen. Zur Begründung führte die Bekl. n, die um 16.55 Uhr von dem Faxgerät des von ihr beauftragten Rechtsanwaltes erstellte Sendebestätigung habe die Bemerkung "OK" ausgewiesen und zusätzlich vermerkt, dass die 25-seitige Berufungsbegründungsschrift innerhalb von 11 Minuten und einer Sekunde übermittelt worden sei. Zur Glaubhaftmachung hat sich die Bekl. auf das Sendeprotokoll und die eidesstattliche Versicherung ihres Anwalts bezogen. Die Rückfrage des Vorsitzenden der Berufungskammer bei dem Leiter der Wachtmeisterei des LG ergab, dass am 20.7.2015 beim LG zwei von dem Telefaxgerät des Bevollmächtigten der Bekl. herrührende Schriftsätze eingegangen seien. Beginnend um 16.24 Uhr seien sechs Seiten mit einer Übertragungszeit von vier Minuten und 21 Sekunden und um 16.41 Uhr beginnend 20 Seiten mit einer Übertragungszeit von 11 Minuten und neun Sekunden übermittelt worden. Der Verbleib des letzten Schriftstücks blieb ungeklärt. Der Vorsitzende der Berufungskammer wies darauf hin, dass es sich in Anbetracht der Seitenzahl der Berufungsbegründung von 25 Seiten bei der letzten Übermittlung nicht um einen Teil der Berufungsbegründung handeln könne. Der Prozessbevollmächtigte der Bekl. gab an, er habe am 20.7.2015 nur einen Schriftsatz, nämlich die Berufungsbegründung an das LG gefaxt.
Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag der Bekl. zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.
Die Rechtsbeschwerde der Bekl. hatte Erfolg und führte unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.
2 Aus den Gründen:
[12] "… II. 1. Die nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 S. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Bekl. auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rspr. nicht verlangt werden und die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. BVerfG NZA 2016, 122 = AnwBl 2015, 976 m.w.N.; BGH NJW-RR 2013, 506, Rn 6 m.w.N.; NJW 2015, 253, Rn 6)."
[13] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Bekl. ist auf ihren rechtzeitig und ordnungsgemäß gestellten Antrag (§ 234 Abs. 1 S. 2, § 236 Abs. 2 ZPO) hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Bei seiner abweichenden Würdigung hat das BG die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung i.S.v. § 236 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, § 294 ZPO überspannt und wesentliche tatsächliche Umstände nicht oder nicht ausreichend gewürdigt (§ 286 ZPO).
[15] b) Nach den Feststellungen des BG ist vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) kein vollständiger, vom Prozessbevollmächtigten der Bekl. unterzeichneter Schriftsatz beim Gericht e...