VVG § 6
Leitsatz
Wünscht ein VN vor Abschluss eines Kraftfahrtversicherungsvertrags eine umfassende Beratung, so ist der Versicherungsvertreter gehalten, auch über eine Fahrerschutzversicherung aufzuklären.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.10.2016 – 1 W 4/16
Sachverhalt
Der Kl. hatte im Mai 2013 das Fahrzeug erworben und den Kaufpreis vollständig finanziert. Er unterhielt für das Fahrzeug zunächst bei der V eine Kraftfahrtversicherung. Ende 2014 entschloss er sich zu einem Versicherungswechsel und ließ sich am 4.12.2014 bei dem Versicherungsvertreter X der Bekl. beraten. Seinem Vorbringen zufolge wünschte er eine umfassende Beratung und erklärte gegenüber dem Versicherungsvertreter, dass er im Hinblick auf den hohen Fahrzeugwert und die Vollfinanzierung des Kaufpreises nicht nur eine bloße Haftpflichtversicherung wünsche. Er erwähnte zudem, dass er beabsichtige, mit seinen Familienangehörigen in den asiatischen Teil der Türkei zu fahren, um dort seine Herkunftsfamilie zu besuchen. Unstreitig wurde er im Rahmen dieses Beratungsgespräches weder darüber aufgeklärt, dass der von der Bekl. angebotene Kaskoversicherungsschutz nicht für den asiatischen Teil der Türkei galt, noch wurde ihm die Möglichkeit einer Fahrerschutzversicherung aufgezeigt. Am 3.8.2015 kam es in der Nähe des Heimatortes des Kl., 10 km vor Y, zu einem Verkehrsunfall mit dem bei der Bekl. versicherten Fahrzeug, weil der Kl. bei dem Versuch, einem größeren Hund am Straßenrand, der vor das Fahrzeug zu laufen drohte, auszuweichen die Kontrolle über das Fahrzeug verlor, so dass sich das Fahrzeug überschlug. Infolge des Unfalls verstarb die Ehefrau des Kl., die Beifahrerin im Unfallfahrzeug war, der Kl. wurde verletzt – wobei die Verletzungen noch nicht völlig ausgeheilt sind – und das Fahrzeug erlitt einen Totalschaden.
2 Aus den Gründen:
" … Die Bekl. schuldete eine umfassende Beratung des Kl. zum Thema “Kraftfahrtversicherung’. Während nach einer Novelle des StVG im Jahr 2002 alle Insassen des Fahrzeugs in die Gefährdungshaftung aus § 7 StVG einbezogen sind und somit Versicherungsschutz aus der Kfz-Haftpflichtversicherung besteht, ist dies für den Fahrer nicht der Fall. Hier sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen einem verletzten Fahrer keine Schadensersatzansprüche gegen Dritte zustehen. Diese Lücke wird durch die von den meisten Kfz-Versicherern angebotene preiswerte Möglichkeit einer Fahrerschutzversicherung geschlossen (vgl. hierzu Maier, Die Fahrerschutzversicherung – Neue Wege beim Versicherungsschutz für den Fahrer (zugleich Anm. zu OLG Koblenz r+s 2014, 223; r+s 2014, 219)). Zwar ist die Fahrerschutzversicherung eine freiwillige und eigenständige Zusatzversicherung (Restschadensversicherung) zur Kfz-Versicherung bei gleichzeitigem Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung (u.U. auch Kaskoversicherung). Es handelt sich um eine als Schadenversicherung ausgeprägte spezielle Unfallversicherung zur Absicherung des berechtigten Fahrers, die sich hinsichtlich ihres Leistungsvolumens nicht an festen Summen, sondern an den Grundsätzen der Schadenversicherung mit näher bestimmten Anrechnungs- und Verrechnungsmodalitäten orientiert (vgl. Jahnke, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, vor § 249 BGB Rn 181). Dass der Fahrerschutz nicht nur nach allgemeinem Verständnis, sondern auch nach dem Verständnis der Bekl. vom Thema “Kfz-Versicherung’ mit umfasst ist, zeigt eindrucksvoll auch der vorgelegte Versicherungsschein v. 12.12.2014, in dem unter dem Oberbegriff “Versicherungsumfang’ neben der Kfz-Haftpflichtversicherung, dem Schutzbrief, der Vollkaskoversicherung, dem Ausland-Schadensschutz und dem PLUS Baustein auch der Fahrerschutz aufgeführt ist. Damit hätte der Versicherungsvertreter der Bekl., dessen Verhalten sich die Bekl. nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, im Rahmen einer umfassenden Beratung über eine Kfz-Versicherung auch auf die Möglichkeit einer Fahrerschutzversicherung hinweisen müssen und den Kl. darüber aufklären müssen, welche Risiken dadurch zusätzlich abgedeckt werden können. Der Umstand, dass bezüglich des Fahrerschutzes im Versicherungsschein “Nicht versichert’ vermerkt ist, steht dem nicht entgegen. Der Kl. hat insoweit vorgetragen, er habe nie zuvor von einer Fahrerschutzversicherung gehört und habe mit dem Begriff nichts anfangen können. In der Tat ist das Versicherungsprodukt der Fahrerschutzversicherung unter der Bevölkerung noch nicht so weit verbreitet, dass man davon ausgehen könnte, dass mit dem Schlagwort “Fahrerschutz’ eine konkrete Vorstellung von den damit versicherten Risiken verbunden wäre."
Der Kl. hat auch dargelegt, dass er – wäre er durch den Versicherungsvertreter der Bekl. auf die Möglichkeit einer Fahrerschutzversicherung hingewiesen und über die hierdurch versicherten Risiken beraten worden – auch angesichts der vergleichsweise günstigen Beiträge eine solche Versicherung abgeschlossen hätte.“
Mitgeteilt von RA Thomas Scherer, Osthofen
zfs 1/2017, S. 36 - 37