OWiG §§ 74 Abs. 2, 79 Abs. 3 S. 1 (i.V.m. StPO § 341 Abs. 1 und 2), 80 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz
1. Ist das Urteil in Abwesenheit des Betroffenen verkündet worden, beginnt die Rechtsbeschwerdeeinlegungsfrist gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 341 Abs. 2 StPO erst mit Zustellung des Urteils zu laufen. Die einmonatige Rechtsbeschwerdebegründungsfrist schließt sich gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 345 Abs. 1 S. 1 StPO an die Einlegungsfrist an.
2. Für den Begriff der genügenden Entschuldigung i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG ist nicht entscheidend, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Beantragt der Betroffene unter Vorlage eines ärztlichen Attestes über Arbeitsunfähigkeit die Verlegung des Hauptverhandlungstermins wegen Krankheit und hält das Gericht dieses Attest hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen für nicht aussagekräftig, muss sich das Gericht Kenntnis über die näheren Krankheitsumstände verschaffen, bevor es von einem Ausbleiben ohne genügende Entschuldigung ausgehen kann.
3. Verkennt das Gericht die Bedeutung der genügenden Entschuldigung, beschneidet es das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs in der Hauptverhandlung.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Dresden, Beschl. v. 19.9.2008 – Ss (OWi) 543/08
Sachverhalt
Das Landratsamt V hatte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 14.9.2007 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 60 EUR festgesetzt.
Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das AG mit Urt. v. 17.3.2008 verworfen.
Gegen dieses seinem Verteidiger am 16.4.2008 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit am 23.4.2008 beim AG eingegangenen Schriftsatz die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und den Antrag mit am 23.5.2008 beim AG eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers begründet. Er rügt die Verletzung des Verfahrensrechts und seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Das AG hat den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Beschl. v. 19.5.2008 als unzulässig verworfen.
Gegen diesen seinem Verteidiger am 30.5.2008 zugestellten Beschluss beantragte der Betroffene mit am 2.6.2008 beim AG eingegangenem Schreiben die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
Das OLG hebt den Beschl. des AG v. 19.5.2008 auf, lässt die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urt. des AG v. 17.3.2008 wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zu, hebt auf die Rechtsbeschwerde das Urt. des AG v. 17.3.2008 auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück.
Aus den Gründen
“ … II. Auf den form- und fristgerecht erhobenen Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 346 Abs. 2 StPO) war der Beschl. des AG v. 19.5.2008 aufzuheben.
Unzutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass der Lauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 345 Abs. 1 S. 2 StPO mit Zustellung des Urteils am 16.4.2008 in Lauf gesetzt wurde. Da das Urteil vorliegend in Abwesenheit des Betroffenen verkündet wurde, begann die Rechtsbeschwerdeeinlegungsfrist gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 341 Abs. 2 StPO erst mit Zustellung des Urteils zu laufen. Die einmonatige Rechtsbeschwerdebegründungsfrist schloss sich gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 345 Abs. 1 S. 1 StPO an die Einlegungsfrist an und endete damit erst am 23.5.2008. Die Begründungsschrift des Betroffenen ist daher fristgerecht beim AG eingegangen, weshalb der Beschl. v. 19.5.2008 aufzuheben war.
III. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Zutreffend rügt der Betroffene mit der in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge eine Verletzung seines Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Der Betroffene beanstandet, das AG sei angesichts seiner vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Tag des Hauptverhandlungstermins rechtsfehlerhaft von seinem unentschuldigten Ausbleiben ausgegangen. Die Rechtsbeschwerde teilt die Entschuldigungsgründe und die Erwägungen des AG dazu, warum es das Entschuldigungsvorbringen als nicht ausreichend angesehen hat, mit und legt ferner dar, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs ist damit ausreichend dargetan (OLG Rostock, VRS 108, 374).
Für den Begriff der genügenden Entschuldigung i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG ist nicht entscheidend, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (OLG Hamm, Verkehrsrecht aktuell 2006, 105; OLG Bremen, NZV 2002, 195). Beantragt der Betroffene – wie hier – unter Vorlage eines ärztlichen Attestes über Arbeitsunfähigkeit die Verlegung des Hauptverhandlungstermins wegen Krankheit und hält das Gericht dieses Attest hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen für nicht aussagekräftig, muss sich das Gericht Kenntnis über die näheren Krankheitsumstände verschaffen, bevor ...