VHB 92 § 21 Nr. 1c
Leitsatz
Zur Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer, der den Versicherungsfall rechtzeitig angezeigt hat, auf die Obliegenheit zur Einreichung einer Stehlgutliste bei der Polizei hinzuweisen und darüber zu belehren, dass er bei Verletzung dieser Obliegenheit den Versicherungsschutz verlieren kann.
BGH, Urt. v. 17.9.2008 – IV ZR 317/05
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Hausratversicherung auf Ersatz für bei einem Einbruchdiebstahl abhanden gekommene und beschädigte Sachen in Anspruch. Dem Vertrag liegen die VHB 92 zu Grunde.
Während einer etwa zweiwöchigen Abwesenheit der Klägerin und ihres Ehemannes wurde am 5.8.2003 gegen 0.25 Uhr in deren Erdgeschosswohnung durch Aufhebeln der Balkontür eingebrochen. Nach der Rückkehr am 7.8.2003 meldete die Klägerin den Schadenfall telefonisch. Mit Schreiben vom selben Tage übersandte die Beklagte der Klägerin ein Formular für die Schadenanzeige. Im Anschreiben wird die Klägerin gebeten, alle in der beigefügten Schadenmeldung aufgeführten Fragen zu beantworten. Diese betreffen u.a. die Polizeidienststelle, welcher der Schaden gemeldet wurde, und die dortige Tagebuchnummer sowie die vom Schaden betroffenen Sachen mit der Bitte, darüber ein Verzeichnis mit Datum und Preis der Anschaffung und der Schadenforderung einzureichen. Ein Hinweis, ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen auch bei der Polizei einzureichen, ist weder im Anschreiben noch im Formular für die Schadenanzeige enthalten. Das ausgefüllte Formular nebst einer Liste abhanden gekommener und beschädigter Gegenstände ging bei der Beklagten am 8.10.2003 ein. Die Beklagte lehnte am 18.3.2004 Leistungen ab, weil die Klägerin entgegen der Obliegenheit in § 21 Nr. 1c VHB der zuständigen Polizeidienststelle nicht unverzüglich ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen eingereicht habe. Im Rechtsstreit hat sich die Beklagte ferner auf Leistungsfreiheit wegen arglistiger Täuschung über die Schadenhöhe nach § 22 Nr. 1 VHB berufen. Außerdem hat sie geltend gemacht, sie sei wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 9 Nr. 1a VHB nicht zur Leistung verpflichtet, weil die Wohnungstür nur ins Schloss gezogen und nicht verschlossen gewesen sei.
Aus den Gründen
[6] “ … II. Die Beklagte ist nicht wegen Verletzung der Obliegenheit nach § 21 Nr. 1c VHB von der Verpflichtung zur Leistung frei.
[7] 1. Soweit die Klägerin in Höhe von 3.300 EUR Ersatz für die behaupteten Beschädigungen der Balkontür und von Gegenständen in der Wohnung verlangt, ist die Obliegenheit schon objektiv nicht verletzt. Der Polizeidienststelle ist nur ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen. Hinsichtlich der Beschädigungen sind deshalb auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Kausalitätsgegenbeweis fehlerhaft (vgl. dazu Senatsurt. VersR 1999, 1004 unter II 3).
[8] 2. Davon abgesehen ist der Beklagten das Berufen auf Leistungsfreiheit nach Treu und Glauben verwehrt. Unter den hier gegebenen Umständen hätte sie die Klägerin auf die Obliegenheit, der Polizei unverzüglich eine Stehlgutliste einzureichen, und die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Obliegenheit hinweisen müssen.
[9] a) Eine darauf bezogene generelle Hinweis- und Belehrungspflicht wird in der Rspr. der OLG überwiegend abgelehnt (vgl. u.a. OLG Köln VersR 2008, 917, 918 m.w.N.; KG r+s 2003, 199, 200 f.; OLG Frankfurt am Main NVersZ 2001, 37, 38; OLG Koblenz VersR 1988, 25). Ausgehend von der praktischen Erfahrung, dass diese Obliegenheit und der Verlust des Versicherungsschutzes bei deren Verletzung verbreitet nicht geläufig seien, wird einer fehlenden Belehrung in einigen Entscheidungen aber Bedeutung für die Widerlegung von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beigemessen (vgl. OLG Düsseldorf VersR 2005, 1727 f.; OLG Hamm r+s 1988, 22, 23; OLG Koblenz VersR 2007, 1694, 1695).
[10] In der Literatur wird zunehmend die Auffassung vertreten, der Versicherer sei, wenn der Versicherungsnehmer den Schaden zeitnah melde, zu einer Belehrung über die weitgehend unbekannte Obliegenheit zur Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei und über die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Obliegenheit verpflichtet (Knappmann, r+s 2002, 485, 488 f.; ders., in: Recht und Risiko, Festschrift für Helmut Kollhosser zum 70. Geburtstag, Bd. I S. 195, 199 ff.; VersRHdb/Rüffer, § 32 Rn 186, § 33 Rn 145).
[11] b) Wie Knappmann (Festschrift a.a.O. S. 200 f.) zutreffend ausführt, ist der Versicherer auf Grund seiner überlegenen Sach- und Rechtskenntnis nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, den Versicherungsnehmer bei rechtzeitiger Anzeige des Versicherungsfalles über die Obliegenheit und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung jedenfalls dann zu belehren, wenn er – wie hier durch Übersendung eines Formulars mit dem erwähnten Anschreiben – nähere Angaben zum Versicherungsfall und zur Anzeige bei der Polizei und eine Liste der abhanden gekommenen Sachen anfordert. Damit wird für den Versicherungsnehmer erkennbar konkretisiert, was der Versicherer von ihm für die ...