Die aktuelle Entscheidung des Gerichtshofs zum Führerscheintourismus wurde von der Öffentlichkeit mit Spannung erwartet. Die Vorlagefragen haben das VG Sigmaringen zur Wohnsitzproblematik und das VG Chemnitz zur Umgehungsproblematik der deutschen Wiedererteilungsregelungen an den EuGH gerichtet. Beide Verfahren wurden mit Beschl. v. 10.10.2006 zu einem gemeinsamen Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbunden.
a. Die der Entscheidung zugrunde liegende Fallkonstellation
Mehrere deutsche Staatsangehörige, denen die Behörden die Fahrerlaubnis wegen Fahrens unter Alkohol- oder Drogeneinfluss entzogen hatten, begaben sich 2004 und 2005 in die Tschechische Republik, um sich dort Führerscheine ausstellen zu lassen. Zum Zeitpunkt der Ausstellung der Führerscheine hatten sie, wie sich aus den Angaben in den Führerscheinen selbst ergab, ihren Wohnsitz in Deutschland. Die betreffenden Personen waren zwar in Deutschland nicht mehr mit einer Sperrfrist belegt, konnten aber eine zusätzliche im deutschen Recht vorgeschriebene Voraussetzung für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht erfüllen. In Deutschland gilt, dass Personen, denen die Fahrerlaubnis wegen Fahrens unter Alkohol- oder Drogeneinfluss entzogen wurde, bei der Behörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) vorlegen müssen, um nachzuweisen, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen (§§ 11 f. FeV). Da die betroffenen Fahrer ein solches Gutachten nicht beibrachten, wurde ihnen das Recht entzogen, von ihren tschechischen Führerscheinen in Deutschland Gebrauch zu machen. Die Bescheide wurden anschließend vor deutschen Gerichten angefochten.
b. Entscheidungsgründe
Der Gerichtshof hatte darüber zu entscheiden, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten berechtigt sind, in ihrem Hoheitsgebiet die von anderen EU-Staaten ausgestellten Führerscheine nicht anzuerkennen. Mit seiner Entscheidung hat der EuGH neben einer erneuten Bekräftigung der Pflicht der Mitgliedstaaten zur vorbehaltslosen gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen im Wesentlichen Klarstellungen zur Sperrfrist und zum Wohnsitzerfordernis getroffen.
aa. Sperrfrist
Unklar war bislang, ob auch ausländische EU-Führerscheine anerkannt werden müssen, wenn sie während einer Sperrfrist ausgestellt worden sind. Der EuGH hat jetzt entschieden, dass ein Mitgliedstaat einer Person, auf die in dessen Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis i.V.m. einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewandt worden ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat während dieser Sperrzeit ausgestellten neuen Führerscheins versagen kann. Allerdings kann ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat außerhalb einer Sperrzeit ausgestellten Führerscheins nicht mit der Begründung ablehnen, dass der Führerscheininhaber die Voraussetzungen nicht erfüllt, die nach den Gesetzen des ersten Mitgliedstaats für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung.
bb. Wohnsitz
Daneben äußerte sich der Gerichtshof zum Wohnsitzerfordernis. Grundsätzlich gilt, dass eine Fahrerlaubnis nur dort erteilt werden darf, wo der Bewerber auch seinen ordentlichen Wohnsitz hat (Art. 7 Abs. 1b der Zweiten Führerschein-Richtlinie). Als ordentlicher Wohnsitz gilt der Ort, an dem der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindung oder nur wegen persönlicher Bindungen, gewöhnlich, d.h. mindestens an 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt (Art. 9 S. 1 der Zweiten Führerschein-Richtlinie und Art. 12 S. 1 FRL). Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Mitgliedstaaten aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs ihre innerstaatlichen Vorschriften über den Entzug der Fahrerlaubnis auf jeden Inhaber eines Führerscheins anwenden können, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat. Diese Befugnis kann aber nur auf Grund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ausgeübt werden. Der Gerichtshof hebt zudem hervor, dass nur die Voraussetzung eines einzigen ordentlichen Wohnsitzes die Straßenverkehrssicherh...