Aktuelle Entwicklungen im Recht der Fahrerlaubnis
Einführung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seiner Entscheidung vom 26.6.2008 Verkehrsteilnehmern, denen die Fahrerlaubnis wegen Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss entzogen wurde, das Ausweichen auf eine Führerscheinprüfung im Ausland erschwert. Dieses besonders in Deutschland mit Aufmerksamkeit verfolgte Urteil ist als Fortsetzung einer Reihe von Entscheidungen des EuGH zum sog. Führerscheintourismus einzuordnen. Parallel versucht der deutsche Gesetzgeber mit einer Novellierung der Fahrerlaubnis-Verordnung diesen Missbrauch einzuschränken. Der Beitrag betrachtet die durch EuGH-Rechtsprechung und Gesetzgebung geprägte Entwicklung des Fahrerlaubnisrechts im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen unter Berücksichtigung der verkehrspolitischen Ziele der Europäischen Union (EU).
I. Einführung
Der Begriff Führerscheintourismus beschreibt den Erwerb eines in einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Personen, denen die Fahrerlaubnis – häufig wegen Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – entzogen wurde. Die Bezeichnung hat sich eingebürgert, weil der gesetzlich geforderte Aufenthalt im betreffenden europäischen Land häufig den Charakter einer kurzen, touristischen Unternehmung hat. Mit dem Führerscheintourismus wird in Deutschland geltendes Recht, insbesondere die Eignungsprüfung nach schweren oder wiederholten Verkehrsverstößen, unter Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht der EU umgangen. Nach europäischem Recht haben die Mitgliedstaaten die von ihnen ausgestellten Führerscheine gegenseitig anzuerkennen. Durch den Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen europäischen Mitgliedstaat können sich Kandidaten dem Zuständigkeitsbereich der deutschen Fahrerlaubnisbehörden entziehen. Für die Erteilung der Fahrerlaubnis gelten die Gesetze des jeweiligen Ausstellerstaates. Die den deutschen Behörden vorliegende Verkehrsvorgeschichte ist den anderen Mitgliedsstaaten in der Regel nicht bekannt, da keine einheitliche Registerführung in der EU existiert. Die fehlende Einheitlichkeit des europäischen Fahrerlaubnisrechts wird von vielen nach den strengeren deutschen Rechtsnormen ungeeigneten Kraftfahrern im Rahmen des Führerscheintourismus genutzt, um nationales Recht zu umgehen und ihre Mobilität auf diese Weise zu erhalten.
II. Hintergrund
1. Ansätze der europäischen Verkehrspolitik
Im Weißbuch Verkehr aus 2001 nennt die EU-Kommission die Halbierung der Zahl der Verkehrstoten bis 2010 als Ziel. Das 2003 verabschiedete Europäische Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit bekräftigt dieses Ziel. Neben Maßnahmen zur Verbesserung der Straßeninfrastruktur und Erhöhung der Fahrzeugsicherheit sollen auch die Verkehrsteilnehmer durch verschiedene Maßnahmen zu einem besseren Verkehrsverhalten angehalten werden. Alljährlich werden rund 1,3 Mio. Unfälle im europäischen Straßenverkehr sowie mehr als 40.000 getötete und 1,7 Mio. verletzte Teilnehmer im Straßenverkehr verzeichnet. Dabei sehen sich alle EU-Mitgliedstaaten denselben Problemen gegenüber: Zu den Hauptunfallursachen zählen insbesondere Alkohol- und Drogenkonsum, wobei das Problem des Fahrens unter Drogeneinfluss zunimmt.
2. Das Kapper-Urteil des EuGH und seine Folgen
Ausgangspunkt der EuGH-Rechtsprechung zum Führerscheintourismus ist die sog. Kapper-Entscheidung vom 29.4.2004. Das Urteil enthielt die auf den ersten Blick unspektakuläre Aussage, dass jeder Mitgliedstaat grundsätzlich verpflichtet ist, die in einem anderen EU-Staat ausgestellten Führerscheine ohne weitere Prüfung anzuerkennen. Auf etwaige Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit derartiger Verwaltungsakte, z.B. wegen Umgehung des Wohnsitzerfordernisses oder der Täuschung über verkehrsrechtliche Vorbelastungen, auf M...