VV RVG Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 5115
Leitsatz
Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genügt gebührenrechtlich jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist. Ausführungen zur Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens können auch die Erledigung des anschließenden Ordnungswidrigkeitenverfahrens fördern.
BGH, Urt. v. 18.9.2008 – IX ZR 174/07
Sachverhalt
Wegen eines am 18.5.2005 verursachten Verkehrsunfalls mit Personenschaden wurde die Klägerin sowohl wegen fahrlässiger Körperverletzung als auch wegen Vorfahrtsverletzung angezeigt. Die Klägerin beauftragte am 20.5.2005 einen Rechtsanwalt mit der zivilrechtlichen Schadensregulierung und mit der Wahrnehmung ihrer Rechte im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Die beklagte Rechtsschutzversicherung erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 10.6.2005 Deckungszusage. Am 1.6.2005 meldete sich der Rechtsanwalt bei den Ermittlungsbehörden unter Vorlage einer Vollmacht, die sich auch auf ein etwaiges Ordnungswidrigkeitenverfahren bezog, als Verteidiger der Klägerin. Mit dem Vortrag, der Vorwurf einer Vorfahrtsverletzung sei unbegründet, beantragte er die Einstellung des Verfahrens. Nach Akteneinsicht wiederholte er unter Vertiefung seines Vorbringens den Antrag auf Verfahrenseinstellung. Am 5.7.2005 unterrichtete die Staatsanwaltschaft den Verteidiger, das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, die Sache werde aber zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten an die Verwaltungsbehörde abgegeben. Hiervon setzte der Verteidiger die beklagte Rechtsschutzversicherung mit Schreiben vom 12.7.2005 in Kenntnis. Am 21.7.2005 erhielt der Verteidiger von der Bußgeldbehörde die Nachricht, auch das Ordnungswidrigkeitenverfahren sei eingestellt. Einen gesonderten Schriftsatz an die Bußgeldbehörde hatte der Verteidiger nicht verfasst. Die Klägerin hat gegenüber der Rechtsschutzversicherung die Anwaltsvergütung auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren geltend gemacht. Die Beklagte hat diese nicht erstattet. Die Zahlungsklage der Klägerin hatte beim AG Überlingen Erfolg. Die Berufung der Beklagten hat das LG Konstanz zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag hinsichtlich der zusätzlichen Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG in Höhe von 156,60 EUR weiter. Der BGH hat die Revision zurückgewiesen.
Aus den Gründen
“ … [8] Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass dem Anwalt der Klägerin die Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV RVG zustand und hierfür die Beklagte als Rechtsschutzversicherung aufzukommen hat.
[9] 1. Gem. Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht die Erledigungsgebühr als zusätzliche Gebühr, wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die anwaltliche Mitwirkung endgültig eingestellt wird. Nach Nr. 5115 Abs. 2 VV RVG entsteht sie nicht, wenn eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Anwalts nicht ersichtlich ist.
[10] a) Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG übernimmt, wie die für das Strafverfahren gleich lautende Bestimmung der Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, den Grundgedanken der Regelung des § 84 Abs. 2 BRAGO (vgl. Entwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, BT-Drucks 15/1971, 227 zu Nr. 4141 VV). Diese war geschaffen worden, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten (vgl. Entwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen, BT-Drucks 12/6962, 106). Sie galt gem. § 105 Abs. 2 S. 3 BRAGO auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Neuregelung in Nr. 5115 und Nr. 4141 VV RVG hat diesen Ansatz aufgegriffen, indem dem Rechtsanwalt in den dort genannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt wird. Die Zusatzgebühr der Nr. 5115 VV RVG soll, wie die Vorgängerregelung, den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und damit zu weniger Hauptverhandlungen führen (vgl. BT-Drucks 15/1971, 227 f. zu Nr. 4141 VV).
[11] b) Nach einhelliger Ansicht in Rspr. und Schrifttum bedeutet Mitwirkung i.S.d. Nr. 5115 VV RVG, dass der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung des Verfahrens zumindest gefördert haben muss. Es genügt hierfür jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledigung geeignet ist (LG Stralsund AGS 2005, 442; AnwK-RVG/N. Schneider, 3. Aufl., VV 5115 Rn 28; Burhoff, RVG, 2. Aufl., Nr. 5115 VV Rn 9 f., 15; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., Nr. 5115 VV Rn 6; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., Nr. 5115 Rn 1; Hartung, in: Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Nr. 5115 Rn 8, 15; Enders, JurBüro 2006, 393, 395; ebenso zu § 84 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BRAGO OLG Düsseldorf RPfleger 2003, 41; LG Köln RPfleger 2001, 452; AG Hamburg MDR 1999, 831, 832). Die Abgabe einer Einlassung mit Einstellungsantrag, wie vorliegend die b...